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Die Sutraspeicher-Halle (蔵經閣 zāng jīng gé)

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Die Sutraspeicher-Halle, auch Dharmahalle (法堂fǎtáng) genannt, zählt zu den Haupthallen des Shaolin-Klosters. Sie befindet sich auf der Mittelachse des Tempelsgeländes nördlich der Mahavira-Halle. Traditionell werden in ihr die buddhistischen Schriften aufbewahrt und bedeutende buddhistische Lehrmeister halten in ihr Vorträge.

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Einer Steininschrift zufolge soll die Halle in der Zhizheng-Ära (1341 - 1370) der Yuan-Dynastie (元代至正年间 ) erbaut worden sein, nach anderen Quellen erst in der Ming-Dynastie. Vor ihrer nahezu kompletten Zerstörung durch den von dem Kriegsherrn Shi Yousan initiierten Tempelbrand im Jahr 1928 wurde sie zur Lagerung von mehr als 5000 Rollen Sutren und anderer buddhistischer Schriften genutzt, einschließlich eines Chinesischen Tripitaka (中华大藏经 zhōnghuá dàzàng jīng) aus der Ming-Dynastie. Desweiteren beherbergte sie zu jener Zeit Musikinstrumente und andere für den Ritus relevante Gegenstände, wie auch den legendenumwobenen „Stein des zur Wand gerichteten Bodhidharma“ (达摩面壁石 dámó miànbì shí). Letzter wurde zur Regierungszeit des Kaisers Qianlong (乾隆, 1735–1796) in den Shaolin-Tempel gebracht und befindet sich heute in der Manjushri-Halle (文殊殿 wénshū diàn).

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Die wenigen Überreste der Sutraspeicher-Halle,- der Boden, ein paar Mauerteile und 14 Säulen -, verfielen mehr als 60 Jahre lang. Von 1992 bis 1993 wurde die Halle dann an ihrem ursprünglichen Standort nach altem Vorbild, d.h. entsprechend den noch verfügbaren Materialien über die ehemaligen Gebäude des Tempels, neu erbaut. Danach diente sie wieder der Aufbewahrung buddhistischer Schriften, darunter auch einiger noch erhaltenen Teile eines Holzschnitt-Tripitaka aus dem 3. Jahr der Kangxi-Ära der Qing-Dynastie (1664), sowie  mehrerer buddhistischer Kanons, zu denen auch der Tripitaka Sinica (中华大藏经 zhonghua da zang jing)、der Drachen-Kanon (龙藏 lóng zàng)、der Taisho Tripitaka  (大正藏 dàzhèng zàng) und der Tripitaka Koreana (高丽藏 gāolí zàng) zählen. Insgesamt soll das kanonische Material eine Anzahl von mehr als 10 000 Bänden betragen.

An der Außenfront der Halle ist wie üblich eine Tafel mit dem kalligraphierten Namen der Halle angebracht. Sie befindet sich über dem mittleren Holztor und trägt die von Zhao Puchu  vertikal geschriebenen Zeichen “
經閣”.  Zhao Puchu (趙樸初, 1907 – 2000), ehemals Präsident der Buddhistischen Vereinigung Chinas, zählt zu den bedeutendsten religiösen Führern Chinas in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, seine Kalligrafien sind in China bis heute hoch geschätzt. Das mit knappen Pinselstrichen ausgeführte oberste Zeichen "" auf der Tafel, bedeutet sowohl „Speicher“ wie auch „verbergen, verstecken“. Zhao Puchu schrieb es absichtlich unvollständig ("藏" wäre die korrekte Schreibweise) und verwies damit auf den unwiderruflichen Verlust der alten, klassischen Werke des Shaolin-Tempels durch die Zerstörung des Krieges. Die Tafel gilt als seine humorvolle Warnung an zukünftige Generationen, aus der Geschichte zu lernen und die kulturellen Schätze der Vergangenheit zu bewahren und gut zu beschützen!

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Der Shaolin-Tempel hat die Mahnung des alten Herrn Zhao nicht unbeachtet gelassen.  Im Frühjahr 2011 wurde die Sutraspeicher-Halle einer intensiven Renovierung unterzogen.  Die alten buddhistischen Schriftwerke, die sich in ihr befanden, wurden ausgelagert und im Rahmen der Maßnahmen der staatlichen „Nationalen Dienststelle für den Schutz der antiken Bücher und Schriften“ unter der Aufsicht und Hilfe der „Abteilung für antike Bücher der Bibliothek der Provinz Henan“ gesichtet und sortiert.   
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Da diese Schriftwerke von besonderem historischen und materiellen Wert sind und zugleich aufgrund ihrer Fragilität zu ihrer Erhaltung einer fachgerechten Behandlung und Aufbewahrung bedürfen, wurden sie in die im gleichen Jahr fertiggestellte neue Bibliothek des Klosters gebracht, die sich im Westflügel des Klostergeländes befindet. In dieser 600 qm großen, modernen Bibliothek werden sie seitdem gesichert und unter adäquaten konservatorischen Bedingungen verwahrt. So sind sie nun vor Lichtschäden, Stockflecken,  Schimmelbefall, Säurefraß, Schädigung durch Ungeziefer u.v.m. geschützt.  Von den wichtigsten Werken wurden zusätzlich digitale Kopien erstellt.  Zudem wurden geeignete Mönche des Shaolin-Tempels ausgewählt, um in der Nationalbibliothek und der Bibliothek der Provinz Henan in der Restaurierung, Konservierung, Pflege und dem Schutz antiker Bücher wie auch im Bibliothek-Management ausgebildet zu werden, sodass es für die Kloster-Bibliothek auch qualifiziertes Personal gibt. (*)



In der Sutraspeicher-Halle wird nun vornehmlich neuere Literatur aufbewahrt, darunter ca. 200 Bände einer Sammlung von Werken über buddhistische Medizin (佛医宝典 fóyī bǎodiǎn) und eine Kollektion von ca. 100 Büchern über Kampfkunst (武术藏 wǔshù cáng).  Darüber hinaus wird sie - wie alle großen Hallen des Shaolin-Tempels - bei großen Ereignissen für Zeremonien und andere Aktivitäten genutzt, so z.b. im Rahmen der Ordinationsversammlungen (三坛大戒 法会 sāntán dàjiè fǎhuì) von 2007 und 2010 oder des Wasser-Land-Rituals (水陆法会 shuǐlù fǎhuì), einem der aufwendigsten buddhistischen Rituale, das im Shaolin-Tempel nach mehr als 100 Jahren erstmals wieder im Mai diesen Jahres stattfand. 
       
Der eigentliche Blickfang der Halle ist eine aus weißer Jade angefertigte Statue des "Liegenden Buddha" (白玉卧佛 báiyù wòfó) mit einer Breite von sieben Metern und einem Gewicht von 16,7 Tonnen. Die Statue wurde dem Shaolin-Tempel 1997 von Laienbuddhisten aus Myanmar gespendet.

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(*) Mehr über dieses Projekt des Shaolin-Tempels ist von seinem Abt, Shi Yongxin, in folgendem Artikel zu erfahren (leider nur in Chinesisch): 
Shi Yongxin: Kurzabhandlung über Buddhismus, Tempel und den Schutz der antiken Bücher und Schriften 

Foto (1, 2, 5 und 6): © copyright yss
Foto (3, 4, 7 und 8): © copyright Songshan Shaolin-Tempel, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Yankai fashi.
 
Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.
18.06.2012 - yss 
Letzte Änderung: 03.07.2012
Urheberrechtlich geschützt





Die Speisehallen  und Küchen des Shaolin-Tempels


Speisehalle, Jinnaluo-Halle und Glockenturm (*1)


Die reguläre Speisehalle (斋堂 zhāi táng)  der Mönche befindet sich östlich der Mahavira-Halle auf der Mittelachse des Klosters. Historischen Aufzeichnungen zufolge wurde sie erstmals im 5. Jahr der Zhenyuan-Ära der Tang-Dynastie (798 n.Chr.) erbaut und im Laufe der folgenden Dynastien mehrere Male renoviert. Sie trug früher auch die Bezeichnungen „Halle der fünf Betrachtungen“ (五观堂wǔ guān táng) und „Küche der Versammlung von Düften“ (香积厨xiāng jī chú). 

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 Als der Shaolin-Tempel 1928 im Bürgerkrieg niederbrannte, wurde sie zerstört. 1995 baute man sie an ihrem angestammten Platz seitlich der Mahavira-Halle erneut auf. Seitdem dient sie den Bewohnern des Klosters wieder als Refektorium (klösterlicher Speisesaal) und außerhalb der Essenszeiten manchmal auch als Unterrichtsraum. Heute wird in dieser Speisehalle die Tradition des gemeinsamen Speisens der Sangha nur von einer begrenzten Anzahl von Mönchen und Kampfmönchen aufrecht erhalten, da es einen zweiten Speiseraum in der Meditationshalle gibt.

Hinter der Speisehalle liegt im Ostflügel des Klosters,  außerhalb des der Allgemeinheit zugängigen Bereichs die schlichte Küche (厨房chúfáng). Sie wurde 1998 erbaut und umfasst neben Räumen für die Zubereitung der Mahlzeiten auch kleinere Lagerräume für die Lebensmittel. (siehe:
Das Essen im Shaolin-Kloster, Teil 4).




Belagerter Eingang der Speisehalle (*3)

 

Neugierige Blicke (*4)

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Die Meditationshalle besitzt eine eigene Küche und einen eigenen Speisesaal, da die Chanhalle als eine „innere Klause“ (内寮nèi liáo) angesehen wird – im Vergleich zum übrigen Tempel, der als „äußere Klause“ (外寮 wài liáo) gilt. Von der Tempelleitung wird als Grund für diese Besonderheit angegeben, dass somit die ca. 50 Meditations-Meister, die in der Meditationshalle leben, die Halle nicht zu den Mahlzeiten verlassen müssen. Angesichts der vielen neugierigen Blicke der Tempelbesucher auf die Mönche, die die reguläre Speisehalle zu den Mahlzeiten aufsuchen, und nicht selten sogar in die Speisehalle hinein, ist  es verständlich, dass nicht zuletzt auch der Abt und andere hochrangige Mönche, die nicht unbedingt in Reklusion leben, für die Einnahme ihrer Mahlzeiten die geschütztere Sphäre der Meditationshalle bevorzugen. Zu besonderen Anlässen wird jedoch auch Besuchern und Gästen der Aufenthalt in diesen Räumlichkeiten gestattet.


Speisesaal der Meditationshalle (*6)
Der Abt Shi Yongxin im Speisesaal (*7)




Mönche und Besucher bei der gemeinsamen Einnahme der Mahlzeit (*8)





Foto*1 bis *5: © copyright yss
Foto*6 bis *8: © copyright Songshan Shaolin-Tempel , Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Shi Yankai.
Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.
12.06.2012 - yss
Urheberrechtlich geschützt














Der Lixue-Pavillon (立雪亭 lìxuě tíng)  




Die kleine, doch exquisite Halle trug ursprünglich den Namen „Gründerhalle“ (初祖殿 chūzǔ diàn), eine weitere Bezeichnung war „Damo-Pavillon“ (达摩亭 dámó tíng). Ihr Bau wurde nach gregorianischem Kalender 1511,  nach chinesischer Zeitrechnung im 6. Jahr der Zhengde-Ära der Ming-Dynastie (明正德六年)  begonnen und dauerte etwas länger als ein Jahr. In den Dynastien der Ming und Qing wurde sie mehrfach renoviert. Nach der weitgehenden Zerstörung des Klosters im Brand von 1928 war sie eine der wenigen noch vorhandenen Hallen. In ihr hielten die Mönche des Klosters vor der Wiedererbauung der Mahavira-Halle ihre täglichen Zeremonien ab.
Die Halle hat ein Ausmaß von 11,37 Metern Breite, 7,39 Metern Tiefe und 8,89 Metern Höhe. Im Kloster ist sie das einzige Gebäude mit einem einfachem Walmdach. Seine weit auskragenden Traufen, das vielfarbig kolorierte Stützgebälk sowie die grün und gelb glasierten Dachziegeln, Dekorleisten der Dachgrate und Dachreiter verleihen der Halle einen besonderen ästhetischen Reiz. In den geschnitzten Säulen unter den Dachvorsprüngen sind noch einige alte Inschriften vorhanden. 




Im Zentrum der Halle befindet sich ein Altar, auf dem ein hölzerner Schrein errichtet ist. Dieser zur Südseite hin geöffnete Schrein dient der schützenden Aufbewahrung einer in Bronze gegossene Statue des sitzenden Bodhidharma (菩提达摩 pútí dámó, vereinfacht: 达摩  dámó), die ebenfalls in der Zhengde-Ära der Ming-Dynastie angefertigt wurde. Bodhidharma ist entsprechend der in der Zeit der Tang-Dynastie entwickelten Genealogie der Chan-Schule der „Gründerpatriarch“ (初祖 chū zǔ) des chinesischen Chan-Buddhismus. Links und rechts der Statue stehen – zum Teil im Halbdunkel des Schreins kaum zu erkennen - drei in Ton modellierte  Figuren. Dies sind: der zweite Patriarch Huike (二祖慧可 èr zǔ huìkě), der dritte Patriarch Sengcan (三祖僧灿 sān zǔ sēngcàn) und der sechste Patriarch Huineng (六祖慧能 liù zǔ huìnéng).(1)




















Über dem Schrein ist eine Holztafel mit einer Kalligraphie des Kaisers Qianlong der Qing-Dynastie (清乾隆皇帝 qīng qiánlóng huángdì) angebracht. Sie ist eine von fünf Tafeln, die der Kaiser nach seinem Besuch im Shaolin-Tempel am 30. September 1750 mit Inschriften versah und die bis heute im Tempel aufbewahrt werden. Die Tafel im Lixue-Pavillon trägt die  vier chinesischen Schriftzeichen  „雪印心珠“ (xuě yìn xīn zhū): „Im Schnee ein Abdruck der Perle des Herzens“.






Bonbons für Bodhidharma



Im östlichen Teil der Halle ist eine überlebensgroße Statue des Bodhidharma aufgestellt, die über die neben ihr an der Wand angebrachten Spendenbescheinigungen (功德证书 gōngdé zhèngshū) zu wachen scheint.
 





















An der dem Norden zugewandten Rückwand des Holzschreins steht eine vergoldete Statue des Königs Kimnara (紧那罗王 jǐnnàluō wáng), er ist der legendäre Schutzheilige des Shaolin-Tempels. Sein Blick fällt durch das Fenster der rückwärtigen Hallentür, durch das man Touristen beim Erwerb von Büchern, Buddha-Malas etc. beobachten kann. 
Im östlichen Abschnitt der Außenwand der Halle waren ehemals mehrere bedeutende mit Inschriften versehene Steintafeln in das Mauerwerk eingelassen. Sie wurden im Zuge der Reparaturen an der Halle 1983 an verschiedene Orte im Tempel verbracht, unter anderem in den Stelenkorridor der Ciyun-Kapelle.


























"立雪亭“, der Name der Halle heißt wörtlich übersetzt "Pavillion des Stehens im Schnee" und bezieht sich auf eine der bekanntesten Legenden des Shaolin-Tempels. Hier eine Nacherzählung:

In seiner Höhle hinter dem Shaolin-Kloster meditiert Tag für Tag Bodhidharma mit dem Gesicht zur Wand. Immer wieder kommt der Gelehrte Shenguang (神光) zu dem Mönch aus der Fremde, von dem gesagt wird, er sei der Einzige im ganzen Reich,  der den Tod besiegt habe. Shenguang steht vor der Höhle und hofft, dass der Meister sich seiner annimmt, ihm hilft, Erleuchtung zu erlangen. Doch der hatte ihn nur mit den Worten „Wie kannst du mit so wenig Tugenden, solch geringer Weisheit, einem seichten Herzen und einem arroganten Geist  auf wahre Befreiung hoffen?“ abgewiesen. Die Zeit vergeht, Damo sitzt, Shenguang wartet. Es ist Winter, und die Kälte nagt an seinen Knochen, schon lange spürt er es nicht mehr.  Die ganze Nacht verbringt er wartend im kniehohen Schnee,- nichts tut sich. Am frühen Morgen ist er halb erfroren; es fängt wieder an, zu schneien. Noch einmal bittet er Bodhidharma um Unterweisung. Damo blinzelt durch die Schneeflocken, knurrt ihn an: „Erst wenn roter Schnee fällt!“ und wendet sich seiner Wand zu. Shenguang steht da wie festgefroren. Kein vor, kein zurück. Eine Entscheidung, er braucht eine Entscheidung! Er zieht sein Schwert und schlägt sich den linken Arm ab. Das Blut spritzt und der fallende Schnee färbt sich rot. „Hier, Meister!“ Damo dreht sich um …

Liangkai "Shenguang bittet um die Lehre" (2)
Der glückliche Ausgang der Legende: Damo hat schnell reagiert, Shenguang hat überlebt. Damo ist überzeugt von Shenguangs Entschlossenheit, nimmt ihn als ersten Schüler an, gibt ihm den Namen „Huike“ („Weisheit und Fähigkeit“) und verhilft ihm auf seinem Erkenntnisweg zu wesentlichen Durchbrüchen. In der Genealogie des Chan wird Huike als Nachfolger Bodhidharmas und zweiter chinesischer Patriarch der Chan-Schule etabliert.

Die Legende unterlag naturgemäß vielen Variationen, z.B. findet die Handlung in manchen Erzählungen vor der Höhle, in der Bodhidharma meditiert haben soll, statt, in anderen im Shaolin-Tempel; mal ist Damo gütig ablehnend, mal weniger freundlich. Das Werkzeug, mit dem sich Shenguang den Arm abtrennt, variiert zwischen Schwert, Axt, Küchenmesser,  Rasiermesser  … Nun, manche Versionen sollte man sich nicht allzu realistisch vorstellen!

In den „Weiteren Biografien bedeutender Mönche“ (续高僧传 xù gāosēng chuán)  von Daoxuan (道 宣) aus dem Jahr 645 wird erzählt, dass ein Räuber Huike den Arm abhieb. Mit der Zeit setzte sich jedoch die Vorstellung, dass Huike selbst seinen Arm geopfert habe, um seine Entschlossenheit zu demonstrieren, durch, zumal sie sich auch für die Verbreitung der Chan-Schule als sinnvoller erwies. Einige hundert Jahre nach Daoxuan ist in der von Daoyuan (道原) zusammengetragenen  Kompilation „Aufzeichnung der Weitergabe der Leuchte“ (景德传灯录 jǐngdé chuándēnglù) die Legende in ihren wesentlichen Zügen ausgeformt (und eigenartigerweise ist das Geschehen exakt auf den Abend eines 9. Dezember festgelegt).

Bis heute ist die symbolische Kraft dieser Legende ungebrochen. Unabhängig von historischer Nachweisbarkeit und Bedeutung ist sie ein Sinnbild für die Entschlossenheit und Tatkraft eines ernst zu nehmenden Schülers. Auch unter den Kungfu-Schülern ist sie gut bekannt, nicht nur aufgrund der „Ein-Arm-Säbel“ (独臂刀 dúbì dāo) genannten Form des Shaolin-Kungfu, die sich auf sie bezieht.

Einen starken Eindruck hinterließ sie ebenfalls bei Zhao Puchu (趙樸初, 1907 – 2000), dem dritten Präsidenten der Buddhistischen Vereinigung Chinas, der zugleich ein wichtiger Förderer des Shaolin-Tempels war. Während seines zweiten Besuches im April 1992 zeichnete er seine Gedanken über den Shaolin-Tempel auf, er schrieb:

Heute ging ich vor den Lixue-Pavillon und machte ein Gedicht: "Ein großer, mutiger Mensch steht im Schnee und trennt seinen Arm ab, um Seelenfrieden zu erhalten. Auf der ganzen Welt ist die erste Bezeichnung dafür Chan, und nicht Kampfkunst."

(今天我走在立雪亭的前面,就作了一首诗:“大勇立雪人,断臂得心安。天下称第一,是禅不是拳。”)(3)

In seinen Notizen drückte er zudem (mit recht pathetischen Worten) seine Hoffnung darauf aus, dass der Shaolin-Tempel weltweit nicht nur als ein bedeutende Stätte der Kampfkunst angesehen wird, sondern dass die Menschen ihn auch als einen wichtigen Ort des Chan-Buddhismus erkennen. Er wünschte sich, dass in der Zukunft, inspiriert von dem Beispiel Huikes, die Menschen aus aller Welt das Shaolin-Kloster nicht nur zum Erlernen des Kungfu aufsuchen, sondern auch mit dem Ziel, ernsthaft um die Lehre des Chan zu bitten.


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  Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach  bestem Wissen und Gewissen auf ihren  Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.

Besonderen Dank an Shi Yongchuan vom Shaolin-Tempel Deutschland für seine  verlässliche,  geduldige Hilfe!

(1) lt. Angaben von Shi Yankai
(2) Bild: Liangkai "Shenguang bittet um die Lehre", Südliche Song, © copyright Shanghai Museum
(3) Zitat: Zhao Puchu, aus: http://fo.ifeng.com/zongshi/200704/0401_20_42520.shtml

Übrige Fotos & Text © copyright  yss

15.05.2012 - yss
Letzte Änderung: 28.05.2012



Die Mahavira-Halle 
(大雄宝殿 / 大雄寶殿  dà xióng bǎo diàn)

Hat man die Tore der Halle der Himmelskönige durchschritten, beginnt die Reihe der Haupthöfe und -Gebäude, die auf der Zentralachse im inneren Bereich des Shaolin-Tempels liegen. Man durchquert einen weitläufigen Hof mit großen, schlanken Bäumen, zwischen denen meterhohe Stelen aufgestellt sind, und gelangt über eine Treppe zur  Mahavira-Halle. Sie ist die Haupthalle des Tempels, in der die täglichen Zeremonien stattfinden und die großen buddhistischen Feste zelebriert werden. 

Aufgang zur Mahavira-Halle

Die chinesischen Bezeichnung der Halle - 大雄宝殿 dà xióng bǎo diàn - lautet in deutscher Übersetzung „Kostbare Halle des großen Helden“ oder „Schatzhalle des großen Helden“. Sie bezieht sich auf den Ehrennamen des Shakyamuni-Buddha in Sanskrit: „Großer Held“ (महावीर mahāvīra), auf der auch die Bezeichnung beruht, die in der deutschen Sprache am gebräuchlichsten ist: Mahavira-Halle. Ein weiterer, jedoch eher selten verwendeter Name ist „Halle der Buddhas der drei Zeitalter“. Die Mönche des Shaolin-Tempels nennen die Halle meist vereinfacht „Große Halle“ (大殿 dà diàn), „Schatzhalle“ (宝殿 bǎo diàn)  oder „Buddha-Halle“ (佛殿 fó diàn).


Shaolin-Tempel, Aufgang zur Mahavira-Halle (vor 1928) *

Schon in den ersten chinesischen Kopien buddhistischer Klosteranlagen Indiens findet sich die Buddha-Halle unter den drei Hallen, aus denen sich seinerzeit ein Kloster konstituierte, und zu denen auch die Halle der Himmelskönige und die Dharma-Halle zählten. Die Buddha-Halle war die wichtigste von ihnen, denn sie symbolisierte die räumliche Präsenz  des Buddha, die zuvor durch nur durch die Stupa (mit den in ihr vorhandenen Reliquien) gegeben  war. Ab der Tang-Zeit setzte eine Verlagerung des Kults von der Buddha-Halle auf die Person des Abtes ein, der zunehmend als lebendige Manifestation des Buddha angesehen wurde. Gemäß der Chan-Mythologie lehnte Baizhang Huaihai, der das erste eigenständige Chan-Kloster gebaut und die ersten Regeln für Chan-Klöster aufgezeichnet haben soll, den Bau einer Buddha-Halle in seinem Kloster ab und ließ stattdessen eine Meditationshalle errichten. Auch der Chan-Meister Deshan Xuanjian wird als erklärter Gegner der Buddha-Halle angesehen. Nichtsdestotrotz war und ist bis heute die Buddha-Halle wichtiger Bestandteil der meisten  Klosteranlagen des han-chinesischen Buddhismus, auch jener der Chan-Schule.


Die Mahavira-Halle vor 1928: Wandgemälde (links), Altar mit Statuen (rechts)*

 Als die ältesten erhaltenen Teile der Mahavira-Halle des Shaolin-Tempels werden Partien der Steinwand und eine eingelassene Stein-Inschrift angesehen, die darauf hinweisen, dass die Halle im Jahr 1169 erbaut wurde. In den Dynastien der Yuan, Ming und Qing wurde sie mehrmals renoviert. Nach der Feuerbrunst von 1928, der ein Großteil der Tempelanlage zum Opfer fiel, waren von dem Gebäude nur noch die Plattform, die steinernen Säulen und drei Wände erhalten.  Angaben des Shaolin-Tempels zufolge überstanden auch die großen Holztore an der Vorderseite der Halle, sowie das Holztor an der Rückwand den Brand. Nach anfänglichen Baumaßnahmen im Jahr 1984 war die Halle erst 1986 entsprechend dem alten Vorbild wieder vollständig aufgebaut.


Die Mahavira-Halle vor 1928: Waffen an den Seitenwänden*
Die Mahavira-Halle ist ein Gebäude von fünf Säulen Breite und vier Säulen Tiefe. Sie hat ein doppelt gestuftes Dach mit geschwungenen Traufen. Das Dach ist mit grün-glasierten Ziegeln gedeckt und mit zahlreichen Dachreitern versehen. Über dem Eingang ist eine horizontale Namenstafel mit dem Schriftzug „大雄寶殿“ angebracht, die von Zhao Puchu (趙樸初, 1907 – 2000) geschrieben wurde. Zhao Puchu, ein in ganz China bekannter Laienbuddhist, war der dritte Präsident der Buddhistischen Vereinigung Chinas und ein wichtiger Fürsprecher des Shaolin-Tempels auf politischer Ebene. 

Im Zentrum der Halle befindet sich ein hoher, verzierter Sockel aus Blaustein (einer Art von Kalkstein) mit den monumentalen Statuen der „Drei großen Buddhas“.  Die Anordnung der Buddhas als Trinität ist typisch für den Mahayana-Buddhismus, und im Laufe der Zeit entwickelten sich in China verschiedene Buddha-Trinitäten.  Die hier präsentierte Trinität wird als „Buddhas der horizontalen drei Welten“ (横三世佛   héng sān shì fó) bezeichnet.  
 
In der Mitte ist der Shakyamuni-Buddha (释迦牟尼佛 shìjiāmóuní fó) zu sehen, der über die „Dukha-Welt“, die leidvolle, irdische Welt, regiert. Zwei seiner Jünger flankieren ihn: links (vom Betrachter aus gesehen) steht der jugendliche Ananda (阿难陀 anántuó), rechts der ältere Kashjapa (迦叶 jiāyè). Beide Figuren sind, ihrer Bedeutung entsprechend, im Verhältnis zur Statue des Buddha kleiner wiedergegeben. Direkt vor dieser zentralen Gruppe ist der Altar aufgebaut, er ist mit Blumenschmuck und Kerzen, Räuchergefäßen und anderem liturgischem Gerät bestückt. 

Ananda -- Shakyamuni-Buddha -- Kashjapa


Im Osten (vom Betrachter aus gesehen rechts) thront der Medizin-Buddha (药师佛 yàoshī fó), der auch „Großer König und Lehrer der Medizin“ (大医王师 dà yī wáng shī) genannt wird. Er ist der Herrscher eines Paradieses, das allgemein als die „Reine Lapislazuli-Welt“ (净琉璃世界jìng liúlí shìjiè) bezeichnet wird.  Schräg rechts vor ihm steht die Statue des „Ersten Patriarchen Bodhidharma“ (初祖菩提达摩  chuzu puti damo), der hier als barfüßiger Wandermönch wiedergegeben ist.

Medizin-Buddha (rechts: Bodhidharma)


Dem Westen (also der linken Seite, vom Betrachter aus gesehen) ist der  Amitabha-Buddha (阿弥陀佛 amítuófó) zugeordnet, der als Buddha des Westlichen Paradieses besonders in der Reine-Land-Schule verehrt wird.  Links vor ihm steht der als Schutzheiliger des Shaolin-Tempels verehrte „König Kimnara“ (紧那罗王 jǐnnàluō wáng).  

Amitabha-Buddha (links: König Kimnara)


Jeder der drei vergoldeten Buddhas sitzt auf einem Lotus-Thron und trägt eine blaue Haartracht. Die Heiligkeit der Buddhafiguren wird mit Nimben und Flammen-Mandorlen betont.

 Im April 2011 wurde vor der mittleren Buddha-Statue, dem Shakyamuni-Buddha, eine thailändische Buddha-Statue plaziert und mit einer „Kaiguang“–Zeremonie eingeweiht. Angaben der Homepage des Shaolin-Tempels zufolge ist sie ein Geschenk des Ehrwürdigen Tongchai Trimit, Präsident der Romchatra Foundation und Vize-Präsident des Wat Trimit Vitayaram. Der Wat Trimit Vitayaram ist ein Tempel in der Chinatown von Bangkok, Thailand, in dem der Shaolin-Tempel seinerseits einen „Damo Chan Hof“ errichten will, zur Festigung der Freundschaft beider Tempel sowie zur Verbreitung des Chan-Buddhismus und des Shaolin-Kungfu. Die Buddha-Statue aus Thailand ist aus vergoldetem Messing und hat eine Höhe von 2,2 Metern.


Buddha-Statue aus Thailand *

Hinter der zentralen Buddha-Trinität erhebt sich eine Trennwand. Ihre nach Norden ausgerichtete Rückseite ist, entsprechend buddhistischer Tradition, der Darstellung des Bodhisattva Guanyin vorbehalten.
Dieser gesamte zentrale Aufbau ist freistehend, sodass man ihn umrunden kann. In der Mitte der rückwärtigen Mauer der Halle liegt der Ausgang nach Norden hin, links und rechts von ihm sind zwei kleine Seitenaltare errichtet.  

 
Luohan Nagasena (那迦犀那尊者 nājiāxīnā zūnzhě / 挖耳羅漢 wāěr luóhàn)
Entlang der Seitenwände der Halle reihen sich die Figuren der 18 Arhat (十八罗汉 shíbā luóhàn).  Das Wort „Arhat“ stammt ursprünglich aus dem Sanskrit (arhati; „Der Würdige“). Es ist der religiöse Titel für einen buddhistischen „Heiligen“, der den Kreislauf der Wiedergeburten durchbrochen, das Nirwana erreicht hat. Im  Mahayana-Buddhismus bezeichnet es eine der drei Arten von Buddhas, den Sravaka-Buddha, der seine Buddhaschaft durch das Hören der Lehre, also aufgrund der Unterweisung durch einen schon vollendeten Buddha, erlangt hat. Die chinesische Bezeichnung „Luohan“ ist ein Abkürzung von „Aluohan“ (阿羅漢).
Den frühesten Sutren zufolge hinterließ der Shakyamuni-Buddha zur weiteren Verkündung seiner Lehre vier erleuchtete Jünger bzw. Arhat in der Welt. Mit dem Mönch Xuanzang gelangten indische Schriften nach China, in denen schon 16 Arhat bzw. Luohan verehrt wurden. In der Folge verbreitete sich die Verehrung und damit auch die Darstellung der 16 Luohan in ganz China. Skulpturen der Luohan finden sich schon in der Kunst der Höhlentempel, so z.B. in den Song-zeitlichen Zhongshan-Höhlen bei Zichang in der Provinz Shanxi (陕西 子長鐘山石窟 shǎnxī zichǎng zhōngshān shíkū). In der buddhistischen Malerei finden sich Luohan in vielen herausragenden Werken, z.B. von Liang Kai und Zhao Mengfu
Bis heute genießt die Gruppe der 16 Luohan Verehrung, insbesondere im Tibetischen Buddhismus. Im han-chinesischen Buddhismus wurde sie in der Tang-Dynastie um zwei Luohan, Nandimitra (慶友 qingyou) und Pindola (賓頭盧 bintoulu) auf die Anzahl von 18 erweitert. Schon Su Dongpo (苏东坡), der berühmte chinesische Dichter der Song-Zeit, verfasste ein Hymne auf die 18 Luohan. Nach und nach gewann dann die Gruppe der 18 an Popularität und in den Tempeln wurden ihre Skulpturen an den Seitenwänden der Mahavira-Halle plaziert. Desweiteren wird im Buddhismus eine Gruppe von 500 Luohan verehrt, der in vielen Tempeln eine eigene Halle gewidmet ist.
Den Luohan wurden im buddhistischen Volksglauben Chinas übernatürliche Fähigkeiten, Wunderheilungen und Qi-Übertragungen nachgesagt. Deshalb wurden sie vom einfachen Volk insbesondere um Hilfe bei Krankheit gebeten. In diesem Zusammenhang haben sie auch in der Shaolin-Kultur eine besondere Bedeutung erlangt. Der Legende nach führte der indische Mönch Bodhidharma im 6. Jahrhundert im Shaolin-Tempel Qigong-Übungen ein, die den Namen „18 Hände der Luohan“ (罗汉十八手 luóhàn shíbā shǒu) tragen und zu der Faustkampf-Form „Luohan Faust“ (罗汉拳 luóhàn quán) weiterentwickelt wurden. Auch findet sich der Hinweis auf die Luohan in den Namen von Einzelbewegungen anderer traditioneller Formen des Shaolin-Kungfu, z.B. in „Der Lohan öffnet die Finger“ (罗汉开指 luohan kai zhi). 


Die Mahavira-Halle ist der Ort der großen zeremoniellen und rituellen Versammlungen. Jeden Tag werden in ihr die Morgen- und Abendzeremonien (早课 zǎokè, 晚课 wǎnkè) durchgeführt, und an den buddhistischen Festtagen finden große Zeremonien statt, die mitunter mehrere Stunden andauern können, wie z.B. die „Feier des rituellen Badens des Buddha“ (浴佛偈 yufojie) am „Geburtstag des Buddha“ (佛诞 fódàn). Zu den in der Mahavira-Halle stattfindenden nicht-öffentlichen Versammlungen zählen die zweiwöchentlichen Bekenntnis- und Reuefeiern (忏悔 chanhui), an denen ausschließlich die Mönche teilnehmen. Sie finden jeweils in der Mitte und am Ende jeden Monats, zu Vollmond (满月mǎnyuè) und Neumond (新月 xīnyuè) statt.



Wie in den anderen Tempeln Chinas zählt die Mahavira-Halle des Shaolin-Tempels zum „Pflichtprogramm“ eines jeden Touristen, was der während der offiziellen Öffnungszeit stattfindenden Abendzeremonie oft zum Nachteil gereicht. Nicht wenige der zahlreichen Touristenführer sind ohne Bedenken bestrebt, alle ihre „Schäfchen“ mit Nachdruck in das Halleninnere zu holen und mit einer Flut lautstarker Erläuterungen die Rezitationen der Mönche zu übertönen, notfalls mit Unterstützung eines Mikro- oder eines Megaphons. Dementsprechend „beliebt“ ist diese Zeremonie bei den an ihr teilnehmenden Mönchen. Sie müssen viel Geduld und Stoismus aufbringen, um die mit Gedränge, Lärm und oft auch mit respektlosem Verhalten verbundene Unruhe, die mit den Touristenmassen in die Halle schwappt, auszuhalten und dabei auch noch ihre Aufgaben zu erfüllen.
In der Morgenzeremonie hingegen, die aufgrund ihrer Frühe relativ selten von Touristengruppen besucht wird, lässt sich durchaus noch die positive Wirkung, die solch eine Zeremonie ausüben kann, verspüren. In der Ruhe und Frische des Morgens ist die Atmosphäre gelassen und entspannt, die Mönche fühlen sich wesentlich wohler. An den Tagen, an denen die Zeremonie durch die Ernsthaftigkeit, Konzentration und Intensität der Mönche die ihr eigene meditative Kraft entfalten kann, erfüllt eine ganz besondere Magie den großen Raum. Vielleicht offenbart die Mahavira-Halle dann ihren wertvollsten Schatz.



Mahavira-Halle, Nordseite




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*Fotos:  © copyright Songshan Shaolin-Tempel, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Shi Yankai
Alle übrigen Fotos und Text: © copyright yss


Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.
20.04.2012 - yss
Letzte Änderung: 28.04.2012

Die Halle der vier großen Himmelskönige 
(四大天王殿  si da tianwang dian)

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Diese Halle, meist in Kurzform „Halle der Himmelskönige“ (天王殿 tianwang dian) genannt,  trägt entsprechend ihrer Bezeichnung im Sanskrit auch den Namen „Devaraja-Halle“.
Ursprünglich in der Yuan-Dynastie erbaut, wurde sie mehrmals in der Ming- und der Qing-Dynastie renoviert. Sie war seinerzeit das „Bergtor“ (山门 shanmen), d.h. das Eingangstor zum Tempel, und beherbergte im vorderen Bereich die Statue des Maitreya Buddha (彌勒佛 mile fo), im hinteren, dem Norden zugewandten Bereich jene des Skanda (韦驮菩萨 weituo pusa). 1735 erbaute man im Zuge einer Renovierung des Tempels, ihr vorgelagert, eine neue Eingangshalle, in die die Statuen des Maitreya Buddha und des Skanda tranferiert wurden (siehe: Der Vorplatz und das Haupttor). Die alte Eingangshalle wurde in „Halle der vier Himmelskönige“ umbenannt und erhielt dementsprechend die Statuen der vier Himmelskönige sowie jene der zwei Torwächter. 1928 ließ im Zuge der seinerzeitigen Bürgerkriegswirren der Kriegsherr Shi Yousan den Shaolin-Tempel in Feuer legen, die Halle der vier Himmelskönige brannte bis auf wenige Überreste nieder. In der Zeit von 1982 bis 1983 wurde sie wieder aufgebaut, wobei man versuchte, sie weitgehend dem alten Vorbild nachzugestalten.

(2) Die Halle der vier Himmelskönige (vor 1928)





Kommt man vom Eingang her, präsentiert sich die Halle als eine Torhalle mit großem zentralem Durchgang, der mit einem massiven Holztor verschlossen wird. Zu Seiten des Durchgangs befinden sich vor dem Holztor zwei zur Mitte hin offene Räume mit den Statuen der Wächter Buddhas, hinter dem Tor zwei zur Mitte und zur Nordseite hin offene Räume mit den Figuren der vier Himmelskönige. Das steinerne Podest, das der Halle vorgelagert ist, stammt noch aus der Zeit vor dem Brand von 1928. Links und rechts der Torhalle befinden sich zwei Seiteneingänge, die mit denen des Bergtors korrespondieren.


Die Wächter „Heng“ und „Ha“ 

(3) Heng!
(4) Ha!





















Im zentralen Durchgangsbereich der Halle stehen in Überlebensgröße die Statuen zweier Wächter und Beschützer des Buddha und seiner Lehre (skr.: vajra, chin.: 金刚 jingang oder 金刚力士 jingang lishi). In der „Prajna Paramita Sutra des wohlwollenden Königs, der das Land beschützt“ (仁王护国般若波罗蜜经 renwang huguo bore boluomi jing) als eifrige Protektoren der buddhistischen Lehre (Dharma) beschrieben, wurde ihnen in vielen buddhistischen Tempeln die Aufgabe als Torwächter zuteil.
Dharma-Beschützer findet sich schon in der Frühzeit der buddhistischen Ikonographie. Ein Einfluss der griechisch-hellenistischen Kunst auf ihre Darstellung ist offensichtlich und läßt sich, ausgehend von den griechischen Statuen des Herakles, über die griechisch-baktrische Kunst und die „Vajrapani“-Darstellungen in Skulpturen und Reliefs von Gandhara bis hin zu den Skulpturen von Dharma-Beschützern in China und in Japan verfolgen.

In ihrer ursprünglichen Auffassung sind die Dharma-Beschützer mit muskulösen Körpern und in furchterregenden Posen wiedergegeben. Die Oberkörper sind nahezu unbekleidet, die Gesichter grobschlächtig und grimmig. Ihr Haupthaar ist auf dem Scheitel zu einem Knoten zusammengebunden. Als Attribut ist den Wächtern jeweils eine Art  Donnerkeil resp. „Vajra“ (金刚杵 jingang chu) beigefügt.

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Im Westen (vom Tempeleingang gesehen links) steht Gunyapati (密迹金刚 mìji jingang). Er zählt zu den Devas,- in der buddhistischen Mythologie eine niedere Klasse vergänglicher Gottheiten-, und weist einen roten Körper auf. Seine Rechte ruht auf dem Donnerkeil, die Linke ist drohend erhoben. Mit geöffnetem Mund formt er die erste Silbe des Sanskrit-Alphabets, das „a“ ( sanskr.: अ, chin.: 哈 ha), weshalb er im chinesischen Volksmund „Ha“  genannt wird.
Im Osten (rechts) befindet sich die Statue des Narayana (那罗延金刚 naluoyan jingang), sein Körper ist von blauer Farbe.  In seiner Rechten hält er den „Vajra“ , seine Linke greift mit weit gespreizten Fingern nach vorne. Ihm ist die letzte Silbe des Sanskrit-Alphabets, „om“ (sanskr.: ह , chin.: 哼 heng oder hum) zugeordnet, ihr entsprechend lautet sein volkstümlicher Name in China „Heng“ .  Zusammengefasst bilden beide Silben die heilige Silbe „Aum“ oder "Ahum" (sanskr. ॐ), die – entsprechend dem „Alpha und Omega“ im Christentum – Anfang und Ende, Entstehen und Vergehen des Lebens und letztendlich das Absolute symbolisieren.

In einer Variante treten die beiden Wächter Heng und Ha auch als „Generäle Heng und Ha“ (哼哈二将 heng ha er jiang) auf. Dies ist auf die in der Ming-Dynastie erschienene Novelle „Die Einsetzung der Götter“  (封神演义 fengsheng yanyi) des Autors Xu Zhonglin (许仲琳) zurückzuführen, durch deren Schilderung als mutige Helden beide Figuren Bekanntheit und Beliebtheit im Volk erlangten. Der „Heng“-General Heng heisst dort Zheng Lun  (郑伦),- mit dem weißen Atem, den er aus seiner Nase blasen lässt, kann er seine Feinde töten. Der „Ha“-General heißt Chen Qi (陈奇),- er vernichtet seine Feinde mit dem gelben Atem seines Mundes. Als Generäle sind beide in entsprechend prunkvolles Rüstzeug gekleidet.



Die vier Himmelskönige (四大天王 si da tianwang)

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Die vier Himmelskönige, im Sanskrit „Lokapala“ (Beschützer des Universums) oder „Caturmahārāja“ (vier Könige) genannt,  wurden vom Buddhismus aus der brahmanischen/hinduistischen Götterwelt übernommen. Im buddhistischen Pantheon zählen sie zu den Devas und sind die Herrscher des Cāturmahārājikakāyika-Himmels, der an den Hängen des heiligen Weltenberges Meru  (须弥山 xumishan) liegt und der Welt der Begierde (sanskr.: Kāmadhātu, chin.: 欲界 yu jie) zugerechnet wird. 
Die Himmelskönige werden als Beschützer der buddhistischen Lehre und Hüter der Welt verehrt. Entsprechend der im 4. Jahrhundert von dem Pilger Faxian nach China gebrachten Dirghagama-Sutra  (长阿含经 chang ahan jing)  sind sie verantwortlich für die Bewachung der vier  mythischen Kontinente, die in den kardinalen Himmelsrichtungen den Berg Meru umgeben, wobei ihnen jeweils ein Kontinent zugeteilt ist. Vereinfacht werden sie deshalb als Wächter der vier Himmelsrichtungen bezeichnet. Zudem regiert jeder von ihnen über eine Gruppe übernatürlicher Wesen bzw. Halbgötter, vor deren negativen Eigenschaften er die Menschen bewahrt und deren positive Eigenschaften dem Schutz des Buddha und des Buddha-Dharma dienen.  Desweiteren ist jedem Lokapala eine Farbe, ein Attribut u.v.m. zugeordnet.

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Einer anderen, sich über nur eine Schriftrolle erstreckenden Sutra zufolge dienen die vier Himmelskönige Shakra (帝釋天  dishitian oder 釋提桓因  shiti huanyin), dem Herrscher über die Devas des Trayastrimsha-Himmels, des höchsten mit den Menschen noch in einer Verbindung stehenden Himmels, der auf der Spitze des Meru-Berges liegt. Entsprechend dieser "Sutra der vier Himmelskönige" (四天王经 si tianwang  jing)  mahnt der Shakyamuni-Buddha seine Jünger in einer Rede, die sechs monatlichen Tage des Fastens und der Abstinenz einzuhalten, da jeweils am 8.,14. und 15. Tag eines Monats  nach dem chinesischen Mondkalender die vier Könige erkunden, wie es um die Tugend und Moral unter den Menschen steht, wozu sie Kundschafter aussenden oder sich selbst zu den Menschen begeben. Anschliessend erstatten sie Shakra und der Versammlung von Devas des Trayastrimsa-Himmels Bericht darüber und können gegebenenfalls die Lebenszeiten der Menschen entsprechend ihres moralischen Verhaltens verlängern oder verkürzen. -- Es ist nicht auszuschließen , daß diese Vorstellung chinesischen Ursprungs ist und erst später in die Sutra eingefügt wurde.        

In China sind die vier Himmelskönige ca. seit dem 4. Jahrhundert bekannt. Sie werden dort auch kollektiv als „Moderater Wind, passender Regen“ (风调雨顺 feng tiao yu shun) bezeichnet,  mit der Bedeutung von gutem Klima und guter Energie. Die Einführung ihrer besonderen Verehrung als Beschützer der Tempel und die Aufstellung ihrer Statuen in einer eigenen Tempelhalle wird auf eine Legende um den buddhistischen Mönch Amoghavajra (不空 bukong) zurückgeführt. Amoghavajra lebte in der Zeit von 705 bis 774 und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Yogacara-Schule in China. Er war einer der politisch einflußreichsten Mönche in der Geschichte des chinesischen Buddhismus überhaupt, dies sicherlich nicht zuletzt aufgrund der magischen Praktiken, die er ausübte. Besonders wurde ihm die Fähigkeit, Regen zu machen und Stürme zur Ruhe zu bringen nachgesagt. Der Legende zufolge sollen ihm in der belagerten Stadt Xianfu, als er in einem Tempel zum Schutz der Stadt Dharanis rezitierte, die vier Himmelskönige erschienen sein, durch deren Hilfe die Belagerung beendet werden konnte.  Zum Dank für ihr hilfreiches Eingreifen wurde die Verehrung der Himmelskönige implementiert und die Aufstellung ihrer Statuen in den Tempeln und Klöstern angeordnet.

Im Shaolin-Tempel stehen die Statuen der Himmelskönige jeweils zu zweit in zwei halboffenen Räumen an der Nordseite der nach ihnen benannten Halle, links und rechts des zentralen Durchgangs. Zur Betonung ihrer Macht und Stärke wurden auch sie in Überlebensgröße modelliert und in martialischen Posen wiedergegeben, zudem dient jedem von ihnen ein kleines menschliches Wesen als Fußstütze. Die vier königlichen Wächter sind in prachtvolle Rüstungen gekleidet und tragen ausladende, reich verzierte Kronen auf ihren Häuptern.

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Vaishravana, der Hüter des Nordens
Vaishravana, der in dem Raum zur Linken des Tores steht, ist der wichtigste der vier Himmelskönige. In China wird er „der Alles Hörende“ (多闻 duo wen) genannt und oft mit Kuvera, einer buddhistischen Variante des hinduistischen Gottes der Reichtümer, assoziiert.  Er residiert im Kristallpalast des nördlichen Himmels, wacht über den nördlich des Meru-Berges gelegenen Kontinent Beiju Luzhou (北俱芦洲) und befiehlt ein Heer von Yakshas (夜叉 yèchā). Als Yakshas wird im Hinduismus, Buddhismus und Jainismus eine große Klasse von Naturgeistern bezeichnet.  Der Körper des Vaishravana ist von gelb-grüner Farbe, die im Shaolin-Tempel jedoch mehr zu einem leichten Orangeton hin tendiert. In seiner Linken hält er eine zusammengerollte Fahne, das Siegesbanner der buddhistischen Lehre, in seiner Rechten eine Edelsteine speiende Manguste, die den Schutz des Wohlstands symbolisiert.    

Virudhaka, der Hüter des Südens
Neben Vaishravana ist die Statue des Virudhaka aufgestellt, dessen chinesischer Name „ der Vergrößernde“ (增长 zeng zhang) lautet. Er ist der Patron des Wachstums und wohnt im Glaspalast des südlichen Himmels. Als König der  Kumbhandas (鳩槃荼 jiu pan tu), einer Spezies von koboldhaften Dämonen mit einem Bauch in der Form von Kürbisflaschen, wacht er über den Kontinent des Südens, Nanzan Buzhou (南瞻部洲). Sein Attribut ist im Allgemeinen das Schwert, im Shaolin-Tempel jedoch hält er in seiner Linken eine Pagode. Sein Körper ist von blauer Farbe.

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Dhritarashtra, der Hüter des Ostens
Der Hüter des Ostens trägt den chinesischen Namen  „Erhalter des Landes“  (持国 chi guo) und ist im Shaolin-Tempel von weißer Hautfarbe. In seiner Linken hält er eine Laute,- in China meist als vierseitige Pipa interpretiert -, deren Klang die Gedanken der Menschen reinigen soll.  Seine Residenz ist der Goldene Palast im östlichen Himmel. Dhritarashtra ist der König der Gandharvas (乾闥婆 qiantapo), den fliegenden Musikanten der himmlischen Sphären. Er ist für die Bewachung des östlich des Berges Meru gelegenen Kontinents Dongsheng Shenzhou (东胜神州) zuständig.

Virupaksha, der Hüter des Westens
Virupaksha, sein chinesischer Name ist „der Weitsichtige“ (广目 guang mu), residiert im Silberpalast des westlichen Himmels und ist der König der Nagas (chin.: 那伽 naja), mythischen Wesen, die sowohl in der Gestalt von Menschen als auch in der von Schlangen erscheinen können. Seine Statue im Shaolin-Tempel weist eine rote Hautfarbe auf. In seiner Linken hält er den Kopf einer Schlange, die sich um seinen Arm windet. Oft trägt er in seiner Rechten das buddhistische Wunschjuwel, das er der Schlange vorenthält,- im Shaolin-Tempel wurde dieses jedoch gegen ein Schwert eingetauscht. Er steht neben dem Wächter des Ostens in dem Raum rechts des großen Mitteltores. In seiner Verantwortung steht die Bewachung des westlichen Kontinents, Xiniu Hezhou (西牛贺洲).


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Die Halle der vier Himmelskönige, die Mahavira- bzw. Buddha-Halle und die Sutraspeicher- bzw. Dharma-Halle werden zusammen als die „drei großen Hallen“ bezeichnet. Sie bilden das grundlegende „Hallen-Ensemble“ eines buddhistischen Tempels und finden sich schon in den ersten chinesischen Kopien indischer Klosterpläne. In den buddhistischen Tempeln Chinas wurde die bauliche Anordnung der wesentlichen Hallen von den chinesischen Kaiserpalästen übernommen und die „Drei großen Hallen“ wurden hintereinander entlang der Zentralachse des Tempels platziert.
Hat man die Halle der grimmigen vier Himmelskönige durchschritten, blickt man über einen großen Hof hinweg auf die imposante Mahavira-Halle, zu der man wiederum über einige Treppenstufen hochsteigt.


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Fotos 5, 6, 9 und 11: copyright Songshan Shaolinsi - Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Shi Yankai
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26.06.2010 - yss
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