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Die Guanyin-Halle (观音殿)
 

 Im hintersten Hof des Shaolin-Klosters liegt an der Südostflanke der Tausend-Buddha-Halle (千佛殿) die Guanyin-Halle (观音殿). Sie wurde zur Zeit der Qing-Dynastie gebaut und erstreckt sich über eine Breite von drei „Jian“ (间, 1 jian = Raum zwischen zwei Säulen). Die Halle ist dem „Mahasattva-Bodhisattva Guanyin in weißem Gewand“ (白衣大士观音菩萨) geweiht, weshalb sie auch oft "Halle des weißen Gewandes" (白衣殿) genannt wird. Diesen Namen trägt jedoch heute offiziell eine kleine  Halle des größtenteils zerstörten Zhoufu-Tempels (周府庵), der, in unmittelbarer Nähe des Shaolin-Klosters gelegen, früher dessen alten Mönchen als Refugium diente. 

 
Betritt man die Guanyin-Halle durch das zentrale Eingangstor, steht man direkt dem Schrein der Guanyin-Staue gegenüber, vor dem sich ein großer Altartisch mit den üblichen buddhistischen Opfergaben befindet.  Die Guanyin-Statue ist im Meditationssitz wiedergegeben, in der Rechten ein Wassergefäß haltend und die Linke in einer Mudra erhoben. Sie wird von zwei Gestalten der chinesischen Mythologie flankiert: der  Göttin des Reichtums (财神) und der Tochter des Drachenkönigs (龙女). 
Das Statuen-Ensemble ersetzt seit 2013 drei ursprünglich aus der Baiyi-Halle des Zhoufu-Klosters stammenden Bronzefiguren. 

Bodhisattva Guanyin aus dem Zhoufu-Kloster

Diese wurden 1979 vom Zhoufu-Kloster in das Shaolin-Kloster transferiert, um die im Tempelbrand von 1928 zerstörte Statue der „Guanyin in weißem Gewand“ zu ersetzen, von der nur noch eine Schwarz-Weiß-Fotografie existiert: 


Shaolin Guanyin-Statue, vor 1928


  Das Außergewöhnliche an der Guanyin-Halle des Shaolin-Tempels sind jedoch nicht ihre Statuen, sondern ihre großflächigen Wandmalereien (壁画), die - vermutlich am Anfang des 19. Jahrhunderts - von  anonymen Künstlern aus dem Volk angefertigt wurden. 

Zwei von ihnen zeigen die Shaolin-Mönche bei der Vorführung ihrer Kampfkunst und sind deshalb für Ausübende und Bewunderer des Shaolin-Kungfu besonders interessant. An der Nordwand  ist eine Szene aus der Qing-Zeit dargestellt: der Minister Lin Qing  (麟庆) inspiziert das Shaolin-Kloster und betrachtet die Mönche bei ihrer Vorführung des Shaolin-Faustkampfs. Bemerkenswert an dieser Szene ist auch die Darstellung berühmter Kampfkunst-Experten des Shaolin-Tempels der späten Qingzeit. Deren Namen divergieren in den verschiedenen Quellen, übereinstimmend in allen Quellen ist jedoch der Name Zhanju (湛举) angegeben.

Shaolin Guanyin-Halle  - Nordwand

Das Pendant an der Südwand der Halle zeigt das Training der Shaolin-Mönche unter der Anleitung der ihrer Kungfu-Meister Zhanju (湛举) und Zhanluo (湛洛).  Es sind sowohl der Faustkampf wie auch der Kampf mit verschiedenen Waffen (Stock, Speer, Lanze, Hellebarden u.a.) dargestellt, meist als Partnerübung.


Shaolin Guanyin-Halle Südwand


Vier Wandgemälde an der Ostwand der Halle sind zwei Themen gewidmet, die auf historischen Ereignissen beruhen und legendenhaft ausgeschmückt wurden; bis heute sind sie für den Shaolin-Tempel von herausragender Bedeutung. 
Im nördlichen Abschnitt der langen Ostwand ist in zwei Tableaus das Motiv „13 Stockmönche retten den Tang-König“ (十三棍 僧救唐王) wiedergegeben. 

"13 Stockmönche retten den Tang-König" (rechts)
"13 Stockmönche retten den Tang-König" (links)
 






"13 Shaolin-Mönche retten den Tang-König" - Ausschnitt


Der südliche Abschnitt der Ostwand ist der Yuan-zeitlichen Shaolin-Legende „Jinnaluo  schlägt die Armee der Roten Turbane zurück“ (紧那罗王抗击红巾军) vorbehalten,- auch hier ist das Thema in zwei bildlichen Variationen ausgeführt.
"Jinnaluo rettet den Shaolin-Tempel vor der Armee der Roten Turbane" (linkes Tableau)

"Jinnaluo rettet den Shaolin-Tempel ..." (linkes Tableau) - Ausschnitt



"Jinnaluo rettet den Shaolin-Tempel vor der Armee der Roten Turbane" (rechtes Tableau, Ausschnitt)


 An den Stirnseiten der Halle sind zwischen den die Kampfkunst-Vorführung der Shaolinmönche thematisierenden Wandgemälden und der Wandmalereien der Ostwand jeweils eine Bodhisattva-Darstellung angefügt. Im Norden ist dies der auf einem Löwen reitende Bodhisattva Manjushri, im Süden der Bodhisattva Samantabhadra. Desweiteren befindet sich an den äußeren Seitenwänden des Schreines jeweils das Bildnis eines Arhat: im Norden wird ein Arhat gezeigt, der einen Tiger bezähmt, im Süden ein Drachenbändiger.
Diese Darstellungen religiöser Thematik, insbesondere die Bodhisattva-Bildnisse,  sind von hoher maltechnischer Qualität und  besonderem ästhetischen Reiz,-  leider sind sie in einigen Partien stark beschädigt.

Shaolin Guanyin-Halle - Bodhisattva Manjushri



Shaolin Guanyin-Halle - Bodhisattva Manjushri - Detail
Shaolin Guanyin-Halle - Bodhisattva Manjushri - Detail


Shaolin Guanyin-Halle - Bodhisattva Manjushri - Detail










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Shaolin Guanyin-Halle - Bodhisattva Samantabhadra

Shaolin Guanyin-Halle - Luohan, einen Drachen bändigend

Shaolin Guanyin-Halle - Luohan mit Tiger







 
Shaolin Guanyin-Halle, verziertes Dachgebälk


 Die hier gezeigten Fotografien der originalen Wandgemälde der Guanyin-Halle des Shaolin-Tempels entstanden im Mai 2011 und im April 2014 mit Genehmigung von Meister Shi Yankai. Sie wurden mit einer kleinen Handkamera unter den gegebenen natürlichen Lichtverhältnissen angefertigt.
Der schriftlichen Inhalt dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf seinen Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt.Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich. 

02.02.2014 - Fotos und Text © copyright by yss 
Letzte Änderung: 08.05.2014
Urheberrechtlich geschützt 








Shaolin-Apotheke -
Der Mönch des „Kleinen Himmelskreislaufs“



 Im Hof der Apotheke des Shaolin-Klosters steht eine kleine bronzene Statue, die stets das Interesse und die Zuneigung der Besucher weckt. Sie zeigt einen Mönch im Meditationssitz, in dessen Kopf und Rumpf chinesische Schriftzeichen eingraviert sind. Die meisten der ausländischen Besucher, die diese hübsche Statue sehen, fragen sich nach der Bedeutung dieser Zeichen, und selbst den Einheimischen ist sie nicht immer geläufig. 

Die Schriftzeichen beziehen sich auf eine Übung der daoistischen Alchemie, deren Ziel es ist, im Körper einen Energiekreislauf in Gang zu setzen, der als der „Kleine Himmelskreislauf“ (小周天 xiǎo zhōu tiān) bezeichnet wird. Im Verlauf dieser Übung passiert die „Qi“ (气) genannte Energie   bestimmte „Stationen“, die auf oder in unmittelbarer Nähe von zwei Leitbahnen in der vertikalen Mittelachse des Körpers liegen: die „Lenkergefäß“ (督脉 dūmài ) genannte Leitbahn steigt an der Rückseite des Körpers entlang der Wirbelsäule auf und führt über den oberen Kopf zum Gaumen. Ihr Gegenpart,  das „Konzeptionsgefäß“ (仁脉 rénmài), führt vom Zungenuntergrund aus über die Vorderseite des Körpers nach unten bis zum Damm. Durchläuft das Qi ungehindert die Stationen bildet sich der „Kleine Himmelskreislauf“, der unter anderem eine Harmonisierung der Yin- und Yang-Energien des Körpers zur Folge hat.
Einige wesentliche Stationen des Kreislaufs sind in die kleine Statue eingraviert, wobei die Schriftzeichen jeweils von rechts nach links zu lesen sind.  Ihre Namen lauten (von oben nach unten):


 






Soweit diese Namen in der chinesischen Medizin als Akupunkturpunkte bekannt sind, sind sie hier mit der numerischen Bezeichnung von C.H. Hempens „DTV-Atlas der Akupunktur“ gekennzeichnet, jedoch zählen sie dort sie nicht immer zu einer der beiden obengenannten Leitbahnen. Inwieweit sie als identisch mit diesen Akupunkturpunkten angesehen werden, unterliegt der jeweiligen Interpretation (s.u.).  Die Namen der übrigen Stationen sind speziell in der daoistischen Kultivierung von Bedeutung, in der chinesischen medizinischen Literatur zur Akupunktur sind sie nicht verbreitet. Hier ein paar Notizen zu ihnen:


  • Die Elsternbücke (鹊桥) bezeichnet die Verbindung zwischen Lenkergefäß/Dumai und Konzeptionsgefäß/Renmai, die unwillkürlich durch die Zunge geschaffen wird, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind,- dies heißt auch „Die im Flug konstituierte Elsternbrücke“ (鹊桥飞架).
  •   „Stockwerke“ (重楼) steht für die „12 Stockwerke“ (十二重楼), eine daoistische Bezeichnung der Luftröhre (Trachea).
  •  Der „Gelbe Hof“ (黄庭) befindet sich zwischen dem unteren Ende des Brustbeins und dem Bauchnabel. Er ist der Ort der Vereinigung von Feuer-Qi (火气 ) und „Wasser-Qi“ (水气), aus der der „Spirituelle Embryo“ bzw. das „Goldene Elixier“ entsteht.
  • Das „Untere Dantian“ wird auch in wörtlicher Übersetzung „Unteres Zinnoberfeld" genannt und liegt unterhalb des Bauchnabels (über die genauere Lokalisation gibt es divergierende Angaben). Es ist eins von den drei Qi-Zentren des Körpers und Sitz des „Wahren Qi“ (真气 zhēn qì). Sowohl in der daoistischen Kultivierung wie auch in vielen chinesischen Kampfkünsten ist es von herausragender Bedeutung. Von den Daoisten wird es jedoch als „Falsches Unteres Dantian“ bezeichnet, da es das Qi nur in begrenzter Menge speichern kann.
  • Der Ort, an dem der Mensch das von den Eltern erhaltenen „Ursprüngliche Qi“ (元气) speichert, sind die beiden Nieren; sie gelten daher als die „Wurzeln des Lebens“. Die linke Niere wird in der daoistischen Alchemie als „Wasserteich“ (水池) bezeichnet, die rechte als „Feuerteich“ (火沼). Der Bezeichnung „zwei Nieren“ bezieht sich wahrscheinlich auf den Punkt „Nieren-Passtor“ (肾关 shèn guān).

Der Kreislauf beginnnt damit, dass das Qi erst zum „Steißbein-Passtor“ (尾閭关 wěi lǘ guān) geleitet wird. Von dort läßt man es über das „Nieren-Passtor“, „Jiaji“ und das „Doppelte Passtor“ aufsteigen. Dann führt man es weiter über die „Himmelssäulen“ und „Jadekissen“ zum Zentrum des Kopfes, dem Punkt „Palast des Schlammkügelchens“ (泥丸宮 ní wán gōng). Von dort erreicht es über den „Hof des Geistes“ die „Elsternbrücke“, wo bei ausreichendem Vorhandensein von Qi der Übergang auf die Renmai-Leitbahn gelingt. Über die „Stockwerke“ der Luftröhre sinkt es herab zum „Gelben Hof“ und gelangt weiter über den „Qi-Punkt“ zum „Unteren Zinnoberfeld“.  Wenn eine große Menge an Qi frei und ungehemmt in diesem Kreislauf zirkuliert, so sagt man: „Das Qi durchläuft den kleinen Himmelskreis“ (气通小周天 qì tōng xiǎo zhōu tiān). Das hier aufgezeigte Schema des „Kleinen Himmelskreislaufs“ ist jedoch stark vereinfacht und soll nur einer rudimentären Beschreibung dienen.


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 Der „Kleine Himmelskreislauf“ ist eine grundlegende Übung in vielen daoistischen Schulen, insbesondere in der Drachentor-Schule (龙门派) des Quanzhen-Daoismus (全真道). Er zählt zu einem System von Kultivierungsmethoden, das durch seine außergewöhnliche Komplexität und philosophische Tiefe beeindruckt. Er ist gleichermaßen eine körperliche und spirituelle Übung und erfordert oft ein jahrelanges „Training“. Als Teil der daoistischen "Inneren Alchemie" (内丹 nèi dān) ist er ausführlich in deren Literatur beschrieben und in bildlichen Darstellungen skizziert, so z.B. in den "Neijing Tu" (内经图) anhand einer den menschlichen Körper repräsentierenden Landschaft.  Der genaue Inhalt der Übung wird jedoch im allgemeinen nur vom Meister auf den Schüler, angepasst an die Befähigung des Schülers weitergegeben. Daneben werden einfache Varianten des „Kleinen Himmelskreislaufs“ in der Traditionellen Chinesischen Medizin als Übung der Gesundheitspflege praktiziert, mit steigender Beliebtheit auch außerhalb des chinesischen Kulturkreises. 

Schon früh wurden wirkungsvolle Elemente des Daoismus vom Shaolin-Kloster angenommen,  insbesondere in den Bereichen der Kampfkunst und der Gesundheitspflege. So wird dort seit langem der  „Himmelskreislauf“ gelehrt,- sowohl der „kleine“ wie auch der „große“-, beide Kultivierungsübungen sind schon in einigen der jahrhundertealten Schriften über Kampfkunst und Qigong beschrieben, die in der Sutraspeicher-Halle des Tempels aufbewahrt werden.

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Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.

* "Nei Jing Tu" in 2 unterschiedlichen Versionen: ein Copyright ist mir nicht bekannt. In Bezug auf die Herkunft der zweiten Darstellung des "Nei Jing Tu" ist folgender Link interessant: "The Original Stele of Neijing Tu"


16.10. 2013 - Text und Fotografien © copyright by yss
Letzte Änderung: 21.10.2013
Urheberrechtlich geschützt






Die Shaolin-Apotheke

(少林药局)



Die Shaolin-Apotheke*1 wurde während der Amtszeit des Shaolin-Abtes Zhilong (志隆) eingerichtet, also zwischen 1217 und 1223*2. Der Shaolin-Tempel favorisiert 1217 als Gründungsjahr und beruft sich dabei auf eine Angabe des Dichters und Historikers Yuan Haowen (元好问)*3.
Wenige Jahrzehnte nach der Initiierung durch Zhilong wurde unter der Leitung des berühmten Chanmeisters Xueting Fuyu (雪庭福裕, 1203 - 1275), der von 1249 bis 1255 als Abt des Shaolin-Tempels fungierte, die Traumatologie zum Mittelpunkt der Shaolin-Medizin erklärt. Gleichzeitig sollten - Fuyu zufolge - auch die Innere Medizin und die Pädiatrie praktiziert werden, um somit neben den Mönchen auch den Menschen außerhalb der Klosters medizinische Hilfe zukommen zu lassen. In der Ming-Dynastie war die Shaolin-Apotheke eine gefestigte und ausgereifte medizinische Institution, in der Qing-Dynastie soll sie durch die Heilung einer Kaiserin weitreichenden Ruhm erlangt haben. Ende der Qing-Dynastie wurde sie infolge der politischen Instabilität des Landes  und der daraus resultierenden zahlreichen Kriegshandlungen geschlossen. Einzelne Mönche und ihre Schüler führten jedoch das medizinische Erbe weiter, praktizierten die Medizin und bewahrten die wertvollen medizinischen Schriften.

Im Jahr 2004 setzte der Shaolin-Tempel die Tradition dieser Einrichtung fort und eröffnete hinter dem westlichen Eingangstor eine Abteilung für Shaolin-Medizin, die „Shaolin-Apotheke“. In diese wurde das 2003 gegründete Unternehmen „Shaolin Yaoju Co. Ltd.“ integriert, das der Tempel als eine Forschungsinstitution zur Erhaltung und zum Schutz der Shaolin-Medizin bezeichnet. Seine Hauptarbeit soll darin liegen, das medizinische Erbe des Tempels zu reglementieren, zu erforschen und es mit moderner Medizin kombinieren,- zum besseren Schutz dieses Schatzes und zum Nutzen der Menschen. Die verschiedenen von dem Unternehmen entwickelten Produkte werden mit großem Erfolg vor allem im Tempel und über das Internet zum Kauf angeboten, der Umsatz der Firma wird von einer E-Kommerz-Seite der Alibaba-Gruppe in einen Bereich von jährlich 30 bis 50 Mio. chinesische Yuan eingestuft.*4 

 


Nonnen, die den Shaolin-Tempel besuchen, interessieren sich für die Shaolin-Medizin


Das Angebot der medizinischen Abteilung des Tempels reicht jedoch über die Bereitstellung pflanzlicher Arzneimittel hinaus. Es stehen dort Ärzte der Traditionellen Chinesischen Medizin mit verschiedenen Spezialisierungen zur Verfügung, Experten für Akupunktur, Tuina und natürlich für Qigong und andere körperliche Übungen zur Gesundheitspflege. Auch in diesen Bereichen der TCM verfügt die Medizin des Shaolin-Tempels über ein spezielles Wissen, das der Besonderheit des Klosters entspricht, ein „Tempel der Kampfkunst“ zu sein. Bis heute stehen die Traumatologie und die Orthopädie im Zentrum dieses Wissens.
Viele Schüler der Shaolin-Kampfkunst, die den Tempel zum Erlernen von Kungfu besuchten, wurden schon in der „Shaolin-Apotheke“ behandelt. Soweit die Behandlung keine der zum Verkauf bestimmten Shaolin-Produkte umfasst, ist sie unentgeltlich, und meist wird selbst nach intensiver Behandlung nur auf direkte Rückfrage hin ein diskreter Verweis auf die Möglichkeit einer Spende angefügt. Natürlich werden in erster Linie die hauseigenen Mönche versorgt, sofern sie keiner Behandlung in einem Krankenhaus  bedürfen. Auch Mönche der Nebentempel kommen gern zur Behandlung oder zur Gesundheitspflege hierher und kehren gestärkt bzw. geheilt und mit benötigten Arzneimitteln ausgerüstet wieder in ihre Tempel zurück.

Die Shaolin-Apotheke wird von dem Mönch Shi Yanlin (释延琳) geleitet, der einer Gruppe von ca. 50 Mitarbeitern vorsteht, und zeitweise auch die Funktion des Klostervorstehers ausübte. Unter seiner Führung erlangte die Shaolin-Apotheke besondere Aufmerksamkeit und den Respekt der Bevölkerung durch den Einsatz von Nothilfe-Teams in den von Erdbeben betroffenen Regionen Chinas.

Shi Yanlin trieb auch den akademischen Austausch zwischen der Shaolin-Apotheke und den chinesischen Hochschulen der Traditionellen Chinesischen Medizin  voran, der einem Wissenstransfer in beide Richtungen zugute kam. In dieser Hinsicht ebenfalls von Bedeutung ist das vom Shaolin-Tempel seit 2011 jährlich veranstaltete „Gipfeltreffen zur buddhistischen Medizin Chinas“ (中国佛医高峰论坛). Dem Tempel zufolge soll es dazu dienen, den Austausch zwischen der Shaolin-Apotheke und solchen Führungskräften der chinesischen Medizin, die in Schlüsselpositionen auf Regierungsebene, im akademischen Sektor, in der Industrie und an der Basis tätig sind, zu intensivieren. Auch soll es den Dialog zur Weiterentwicklung der Traditionellen Chinesischen Medizin und der buddhistischen Medizin fördern. Nicht zuletzt ist der Shaolin-Tempel auch bestrebt, das Interesse namhafter medizinischer Kapazitäten aus dem Ausland an der buddhistischen Medizin Chinas und natürlich speziell an jener des Shaolin-Tempels zu wecken.

Der Hof der Shaolin-Apotheke

Die Shaolin-Apotheke befindet sich im Westflügel des Tempels, in dem ersten Viereckhof hinter dem westlichen Eingangstor. Tritt man vom Vorplatz aus in den Hof, so liegen links und rechts niedrige Gebäude mit den Behandlungs-, Gesprächs-, und Lagerungsräumen. Geradeaus führt auf der Nordseite des Hofes eine Treppe hoch zu einer Durchgangs-Halle, in der die Pflanzenmedizin des Shaolin-Tempels aufbewahrt und zusammen mit anderen Gesundheits-Produkten zum Kauf angeboten wird. 

Behandlungszimmer der Shaolin-Apotheke


Die Rückseite der „Geisterwand“, die, wie in China üblich, direkt hinter dem Eingangstor steht, ist mit einer in Stein gemeißelten Darstellung des Bodhisattva Guanyin versehen. Dieser Bodhisattva wird besonders von Menschen, die sich ein Kind wünschen, um Hilfe angerufen, und zur Bekräftigung der Bitte um Hilfe werden mitunter Geldmünzen geopfert. Guanyin scheint in diesem Jahr besonders milde gestimmt: einer Ansprache des chinesischen Botschafters in Berlin im Januar 2013 zufolge, plant die chinesische Regierung angesichts der Überalterung der chinesischen Gesellschaft eine Lockerung der „Ein-Kind-Politik“. Leider wird Manjushri, der Bodhisattva der Weisheit, zu diesem Thema nur selten befragt.




In der Mitte des Hofes steht die Statue eines Buddhas oder Mönchs im Mediationssitz, in deren Körper chinesische Schriftzeichen eingraviert sind. Sie ist bei den Touristen überaus beliebt, als Fotomotiv wie auch als Glücksbringer, und trotz ihres noch relativ „jungen Alters“ schon stark berieben. 




 Obwohl auch die „Shaolin-Apotheke“ tagtäglich viele Besucher sieht, ergießt sich doch der Hauptstrom der Touristen mehr über den zentralen Bereich des Klosters mit den großen Hallen. Der Hof der Mediziner ist ruhiger, relaxter; nicht selten liegen Kräuter zum Trocknen aus und mitunter kann man den Mönchen und ihren Gehilfen bei der Zubereitung der Arzneien zusehen, ein Gespräch mit ihnen führen, mit ihren Hunden spielen und die angenehme Atmosphäre genießen. 






Fußnoten
 

*1
Die Übersetzung von“少林药局“ zu „Shaolin-Apotheke“ folgt nicht der Tempel-eigenen Übersetzung  ins Englische, die „Shaolin Pharmacy Bureau“ lautet. Die Bezeichnung „药局“ wird in chinesischen Krankenhäusern gleich wie die Bezeichnung „药房“ verwendet und zu „Pharmacy“,- im Deutschen: „Apotheke“-, übersetzt.

*2
Chanmeister Dōnglín Zhìlóng (东林志隆) leitete den Angaben des Shaolin-Tempels zufolge den Tempel von 1217 bis 1223.
Zhilong war der erste Abt des Shaolin-Tempels, der der chan-buddhistischen Caodong-Sekte angehörte.

*3
Die Angabe in der Homepage des Shaolin-Tempels lautet: „元代著名的历史学家元好问在其《少林药局记》中云:“少林之有药局,自东林隆始。”
Übersetzung: „Der berühmte Historiker der Yuan-Dynastie, Yuan Haowen, sagt in seinen "Aufzeichnungen zur Shaolin Apotheke": "Die Shaolin-eigene Apotheke begann mit Donglin Long."“  aus: http://www.shaolin.org.cn/templates/T_new_list/index.aspx?nodeid=140 

*4
Angabe entsprechend der Business-to-business-Handelsplattform "www.1688.com": http://www.1688.com/company/detail/peijunkui09.html
(Download am 03.10.2013) Ob die dort veröffentlichte Angabe des Umsatzes die Einnahmen durch Lizenzvergaben beinhalten, ist unklar. Einnahmen durch den Verkauf von Büchern über Shaolin-Medizin fallen evtl. nicht in den Geschäftsbereich der Shaolin Yaoju Ltd. - Da der Shaolin-Tempel selbst seine Geschäftsdaten nicht veröffentlicht, sind die Angaben schwer zu verifizieren.


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Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder.

3.10.2013 - Text und Fotografien © copyright by yss
Letzte Änderung: 9.10.2013
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Shaolin Chan-Meister Tongguang 
und seine Pagode

Pagode des Chan-Meisters Tongguang, West- und Südseite, 2011


Von einem kleinen Seitenausgang an der Ostseite des Shaolin-Klosters führt ein schmaler Weg zu den oberhalb des Klosters am Berghang liegenden Kungfu-Trainingsplätzen. Folgt man ihm, so passiert man eine bei aller Größe eher unauffällig wirkende Backsteinpagode, die etwas windschief und struppig am Hang steht. Nur selten verirrt sich ein Profi- oder Hobbyhistoriker oder ein Mönch in ihre Nähe, meist bleibt sie von den wenigen Vorbeihastenden oder Vorbeischlendernden unbemerkt und ungegrüßt.

Dabei verdient sie nicht weniger Beachtung als die Stupas des Pagodenwaldes, die zum von der UNESCO geschützen Kulturwelterbe zählen, und kann mit diesen „Antiquitäten“ durchaus mithalten. Sie ist die Pagode des Chan-Meisters Tongguang (同光禅师, 700 - 770), eines hochrangigen Mönchs des Shaolin-Klosters zur Zeit der Tang-Dynastie.
 
Informationen über das Leben dieses Shaolin-Mönchs sind rar. Eine wesentliche Quelle ist die „Pagoden-Inschrift des Chan-Meisters Tongguang“ (同光禅师塔铭), die jedoch naturgemäß weniger dem Bewahren historischer Fakten als dem Übermitteln eines idealisierten Bildes Tongguangs diente. Sie wurde von dem  Kreisvorsteher von Dengfeng namens Guo Zhuo (登封县县令郭浞), verfasst, der einer der Laienschüler Tongguangs war. Niedergeschrieben wurde sie von dem "Mönch von großer Tugendhaftigkeit" Lingxun (大德和尚灵讯).

Der Inschrift zufolge stammte Tongguang aus „Jin“ (晋- heute die Provinz Shanxi 山西) und wurde schon in jungen Jahren Novize. Eine Zeit lang lebte er von Almosengängen auf dem Taishishan(太室山). 725/26  erhielt er die Mönchsordination, und er „nahm Zuflucht“ (皈依) bei dem im Norden weit bekannten Chan-Meister Dazhao (大照).

Dazhao ist der posthume kaiserlicher Ehrentitel des Chan-Meisters Puji (普寂), der als Schüler des Chan-Meisters Shenxiu eine der Hauptpersonen war, gegen die der Mönch Shenhui seine rhetorischen Angriffe richtete, um die Anerkennung Huinengs als sechsten Chan-Patriarchen durchzusetzen.  Auf Einladung des Kaiserhauses (Xuanzong) hin war Puji 725 aus dem Songshan (wahrscheinlich aus dem Songyue-Kloster oder dem Huishan-Kloster, beide sind wenige Kilometer vom Shaolin-Kloster entfernt) in die damalige Metropole Luoyang gekommen. 

Nach dem Tod Pujis im Jahr 739 soll Tongguang eine Zeit lang in der Wildnis verbracht haben,  bis er zum Shaolin-Kloster kam. Die Pagoden-Inschrift berichtet weiterhin, dass Tongguang im Shaolin-Kloster Unterweisungen in seine Lehre gab, nennt jedoch in Bezug auf die Zeit keine genaueren Daten. Es heißt: Tongguang „legte die Bedeutung der großen Lehre dar, er öffnete die Tore der großen Lehre, mehr als 20 Jahre lang erschütterte er China wie auch das Ausland“.(*1)

Entsprechend seinem vom Shaolin-Kloster veröffentlichten Lebenslauf (*2) errichtete er 755, gemeinsam mit dem Mönch Faren (法忍) im Shaolin-Kloster eine kleine Stele mit dem Titel „Aufzeichnung über die kaiserlichen Edikte zur Rückgabe der Devaraja und Löwen an den Shaolin-Tempel“ (《敕还少林寺神王师子记》碑). Der Text dieser Stele liefert wertvolle Informationen über die Beziehung des Shaolin-Tempels zum Kaiserhaus während der Regierungszeit der Kaiserin Wu Zetian (690 - 705).
Nach dem Ausbruch der folgenreichen An-Lushan-Rebellion (安史之乱) im Dezember 755 zog sich Tongguang möglicherweise eine Zeit lang nach Jingzhou (荆州) zurück.

Seiner Pagodeninschrift zufolge verstarb der Chan-Meister 770 im Lotussitz in der Chan-Halle des Shaolin-Klosters. Von den 71 Jahren seines Lebens hatte er 45 Jahre als Mönch verbracht. Mehr als 30 seiner Schüler sollen die Erleuchtung erlangt haben.  An Schülern Tongguangs nennt die Inschrift den Shaolin-Bibliothekar Wéijì und den Shaolin-Klostervorsteher Tánzé, desweiteren als „Erben seiner Lehre“ Dàozhēn, Jiānzhào, Zhēnguān, Bǎozàng, Fǎlín, Zhìxìn, Chéngēn, Zhōngshùn, Chāoàn, Shēnxìn.

Als der wichtigste Schüler Tongguangs gilt jedoch Zhenjian (真坚, ca. 728 bis 784), ein Mönch aus Wangwu (王屋; heute: östlicher Kreis Jiyuan 济源县西)  in der Provinz Henan, der 747 die vollen Mönchgebote annahm. Zhenjian beschäftigte sich intensiv mit dem Vinaya, dem buddhistischen Regelwerk, und verfasste darüber zahlreiche Schriften, die bis nach Silla (新罗) verbreitet wurden, einem Königreich im Südosten des heutigen Korea. Nach seinem Tod soll er im Tianzhu-Kloster im Luonan Longmenshan beigesetzt worden sein. Ein Zeugnis von der großen Bedeutung, die Zhenjian in der damaligen Zeit hatte, legt die Inschrift einer achteckigen Steinsäule („大唐东都弘圣寺故临坛大德真坚幢铭并序“) ab, die heute in dem zum "Institut für die Longmen-Grotten von Luoyang" (洛阳龙门石窟研究) gehörenden Museum aufbewahrt wird.



Tongguangs Schüler Tanze ließ für seinen Meister im Jahr 771 östlich des Shaolin-Klosters die bis heute existente Pagode errichten. Sie ist aus gelbem Backstein im Pavillon-Stil gebaut, ihre Höhe beträgt ca. 10 Meter. An der Südseite der Pagode befindet sich ein Türbogen von 1,87 Meter Höhe und 1,22 Meter Breite, der zu einem kleinen Innenraum führt. Er ist heute zugemauert. Das Bogenfeld oberhalb des Eingangs wie auch die Seitenbereiche sind mit in Stein gemeißelter Verzierung versehen. Dargestellt ist eine Paradiesszene: im oberen Drittel sieht man zwei fliegende Himmelsknaben (飞天童子) mit entblößten Oberkörpern und wehenden Röcken. Sie sind, einander zugewandt, links und rechts der Zentralachse der Tafel angeordnet. Unter ihnen sind zwei Gottheiten zu sehen, die auf einem Teppich tanzen, umgeben von insgesamt neun Musikern und von Vögeln, Blumen etc. Die Musiker sitzen zu beiden Seiten der Tänzer auf prachtvollen Teppichen und sind mit verschiedenen klassischen Zupf- Blas- und Schlaginstrumenten ausgestattet. Die Steinverzierung setzt sich von dem Bogenfeld aus in Fragmenten über den Türsturz sowie über die Seitenbereiche des Eingangs fort; Einhorn, Löwe, der kriegerische Halbgott Vajrapani und andere Gestalten der buddhistischen Mythologie sind hier zur Darstellung gelangt.
Die harmonische Komposition und die sichere Linienführung wie auch die sorgfältige Ausführung und die Ausdruckskraft weisen darauf hin, dass diese lebhafte „Paradiesszene“ die Steinbildhauerarbeit eines Meisters seines Faches ist. Wie die Pagode ist diese gesamte dekorative Arbeit in der Zeit der Tang-Dynastie entstanden.


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Ausschnitt Musiker links
Ausschnitt Musiker rechts









   




An der Nordseite der Pagode ist die Steintafel mit der Gedenkinschrift für Tongguang in die Pagodenwand eingelassen, in ihr ist auch das Jahr der Erbauung der Pagode festgehalten.

Während der Zeit der Kulturrevolution wurde der schlichte Innenraum  der Pagode, der einstmals  Tongguangs Überreste beherbergte und seines Gedenkens diente, zerstört. Auch wurde der Raum, aufgrund von Armut und Not,  zeitweilig  als Unterkunft genutzt. Vor einigen Jahren wurde der Zugang zum Innenraum  vermauert, wahrscheinlich um weitere Zweckentfremdung der Pagode zu verhindern. Leider ist hierbei ein Teil der tangzeitlichen Verzierung des Eingangs hinter der Vermauerung verschwunden.

Pagode des Chan-Meisters Tongguang, Ost- und Nordseite


Die Pagode Tongguangs befindet sich wenige Meter südöstlich der großen Meditationshalle des Shaolin-Tempels, nur leider „auf der falschen Seite“ der Klostermauer, nämlich außerhalb des jetzigen Klostergeländes. Im Jahr 2011 stand dort das 1200 Jahre alte Bauwerk zwischen Schuttabladeplatz, wilder Mülldeponie, Strom-Transformatoren und Baubaracken, geschützt von einem kleinen Geländer.



Die Pagode des Chanmeisters Tongguang 2011




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(*1) Die "große Lehre" ist eine Bezeichnung für den Mahajana-Buddhismus.
(*2) Artikel "同光" der homepage des Shaolin-Tempels


Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben zu den einzelnen Daten sind auf Anfrage hin erhältlich.

Fotos: © copyright yss
13.01.2013 - © copyright yss
Letzte Änderung: 13.02.2013



Die Halle der sechs Patriarchen  (六祖殿)

Shaolin Guanyin (1)

Im Shaolin-Tempel liegt westlich der Mahavira-Halle die kleine "Halle der sechs Patriarchen" als Pendant zu der im östlichen Abschnitt gelegenen Jinnaluo-Halle. Beide Hallen dienen der Verehrung: erstere der Verehrung der sechs "Patriarchen" (六祖) der Chan-Schule, zweitere der Verehrung des Schutzheiligen des Klosters, des Kimnara-Königs (紧那罗王).

Der Homepage des Shaolin-Tempels zufolge wurde nach Angaben auf historischen Stelen des Klosters die ursprüngliche „Halle der sechs Patriarchen“ in der Ming-Dynastie (1368 – 1644) erbaut. Nachforschungen der „Chinesischen Gesellschaft für Gebäude“ ergaben, dass Inskriptionen in einem Stein, der vor der Halle gefunden wurde, auf eine Entstehung der Halle in der Taihe-Ära der Jin-Dynastie (1206) hinweisen. 

Die Halle der sechs Patriarchen, ca. 1920 (2)

Halle der sechs Patriarchen, Wandgemälde, ca. 1920 (4)
Halle der sechs Patriarchen, Wandgemälde, ca. 1920 (3)
















Als 1928 der Kriegsherr Shi Yousan das Shaolin-Kloster niederbrannte, wurde die Halle  mitsamt ihrer alten Wandmalereien zerstört. In der Halle befand sich ein Statuen-Ensemble aus weißem Marmor, das die Szene „Sechs Patriarchen huldigen dem Bodhisattva Guanyin“ zeigte, es konnte ebenfalls nicht gerettet werden.1982/83 wurde die „Halle der sechs Patriarchen“  nach alten Vorlagen wieder aufgebaut.

Statuen in der Halle der sechs Patriarchen, Shaolin-Tempel, ca. 1920 (5)


Die sechs Patriarchen der Chan-Schule bilden den chinesischen Anteil einer Transmissionslinie, die bis zu dem historischen Buddha zurückgeführt wird. Gemäß der Chan-Schule ist der Wesenskern der Lehre des Buddha nicht in den Sutren und anderen Schriften enthalten, sondern wurde „von Geist zu Geist“ übertragen. Diese Übertragung soll, ausgehend von dem historischen Buddha selbst, über eine Reihe indischer Patriarchen an den Mönch Bodhidharma (菩提达摩) erfolgt sein. Durch ihn allein sei die sogenannte „Übermittlung des Geistsiegels“ (传心印) nach China gelangt, wo sie über die chinesischen Mönche Huike (慧可), Sengcan (僧璨), Daoxin (道信) und Hongren (弘) fortgesetzt wurde und letztendlich bei Huineng (慧能), der heute als sechster Patriarch der Chan-Schule verehrt wird, ankam.

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Die ersten „Patriarchen“ selbst,- ihre Existenz vorausgesetzt-,  scheinen jedoch nie behauptet zu haben, eine derartige retrograde Verbindung zum Buddha zu besitzen. Zumindest weist keiner der ihnen zugeschriebenen Texte, wie z.B. die Bodhidharma zugeordnete  "Abhandlung über die zwei Zugänge und vier Praktiken" ("二入四行论"), eine entsprechende Angabe oder auch nur einen Hinweis darauf auf. 




Die älteste bekannte schriftliche Fixierung einer Transmissionslinie in der Entstehungszeit der Chan-Schule findet sich in einem 689 verfassten Epitaph für den Mönch Faru, einen Schüler Hongrens, der, nachdem er drei Jahre im Shaolin-Kloster unterrichtet hatte, dort gestorben war. In diesem Epitaph wird als Nachfolger Hongrens Faru genannt. Es folgten weitere Aufzeichnung der Übertragungslinie, vornehmlich in Schriftwerken und auf Stelen. Diese weisen darauf hin, dass die auf Hongren folgenden Plätze als sechster und siebter Patriarch „heftig umkämpft“ wurden. Den Sieg trug letztendlich Huinengs Schüler Shenhui (神会) davon, dem es gelang, die Anerkennung von Huineng als alleinigen rechtmäßigen sechsten Patriarchen durchzusetzen, wenn auch nur mit Hilfe eines inszenierten Schismas und anderer wenig „buddhistisch“ erscheinender Maßnahmen. Die von Shenhui auf jeweils einen Patriarchen pro Generation festgelegte Transmissionslinie verzweigte sich wieder, nachdem die Anerkennung Huinengs als sechster Patriarch erreicht war. Mit der folgenden Differenzierung einzelner „Sekten“ der Chan-Schule entstand ein Geflecht an „Ahnenfolgen“ und „Verwandschaften“, das bis in die heutigen Tage reicht und von vielen Chan-Adepten leidenschaftlich fortgeführt wird.

Die Transmissionslinie der sechs Patriarchen ist einer der Grundpfeiler der Chan-Schule. Sie ist ein zentrales Element in ihrem Selbstverständnis, zugleich verbürgte sie jahrhundertelang deren Legitimität und besondere Stellung innerhalb des chinesischen Buddhismus. Und wer weiß, vielleicht hätte sich die Chan-Schule als solche, ohne die Aufstellung dieser Genealogie gar nicht klar genug formieren und behaupten können und wäre wieder im Dunkel der Geschichte verschwunden. Ihre Anhänger  aber wußten, das Dunkel der Geschichte für sich zu nutzen.

In der Neuzeit angekommen, stellte sich die traditionelle Reihe der Chan-Patriarchen als ein Gebilde dar, das durch den Staub jahrhundertelanger Legendenbildung und Idealisierung weiter ausgeformt, über jeden historischen Nachweis erhaben schien. Durch die Funde von tangzeitlichen buddhistischen Texten in der Oase von Dunhuang wurde das Interesse an den die Entstehung der Chan-Schule begleitenden bzw. bedingenden Geschehnissen wieder geweckt. Eine neue Generation von Buddhismusforschern brachte seit dem Ende der 60er Jahre mehr von dem historischen Anteil dieser „Geschichte“ zum Vorschein. Heute wird die patriarchale Übertragungslinie  in weiten Teilen als eine nachträgliche Re-Konstruktion der Geschichte,als historischer „Fake“ angesehen. Verschiedene Vertreter der sich formierenden Chan-Schule waren an ihrer Entstehung und Verbreitung beteiligt; nicht selten schien ihr wesentlicher Zweck darin zu bestehen, dem jeweiligen Vertreter bzw. der von ihm vertretenen Gruppe (alleinige) Legitimität als Repräsentant der Lehre des Buddha zu verschaffen und damit gesellschaftliche Geltung, Macht und  Einflussnahme. 

Die Halle der sechs Patriarchen, Shaolin-Kloster 2011 (8)

Die  Aufstellung einer Genealogie von Chan-Patriarchen und die Errichtung einer „Halle der Patriarchen“ zur Förderung ihrer offiziellen Verehrung weist Parallelen zur Ahnenverehrung und zu den Ahnenschreinen des chinesischen Kaiserhauses auf.
McRae macht darauf aufmerksam, dass es Traditionslinien schon im indischen Buddhismus und in der buddhistischen Meditationstradition des vierten und fünften Jahrhunderts in Kashmir gab und dass demzufolge die Transmissionslinie der Chan-Patriarchen als eine Verbindung indischer und chinesischer Elemente zu sehen sei. Man solle deshalb nicht leichtfertig der Chan-Schule das Übernehmen konfuzianischer Vorbilder vorwerfen.

Nichtsdestotrotz wird in der Entwicklung der Chan-Schule eine zunehmende Betonung und ein Ausbau solcher Elemente des Buddhismus deutlich, die eben besonders dem Wertesystem des Konfuzianismus und anderer im gesellschaftlichen Leben des chinesischen Kaiserreiches dominierenden Traditionen entsprechen. Dies scheint speziell auf jene Zeit zuzutreffen, in der der noch in einer kreativen Aufbauphase begriffene Chan-Buddhismus gesellschaftlichen Anschluss suchte und fand, und sich in der obersten Gesellschaftschicht etablierte. Nicht nur ein verstärkter „buddhistischer Ahnenkult“, sondern auch eine zunehmende Hierarchisierung der ursprünglich relativ egalitär ausgerichteten klösterlichen Gemeinschaften kamen dem konfuzianisch geprägten Kaiserhaus in vieler Hinsicht entgegen und erleichterten ihm die Unterstützung von Mönchen der Chan-Schule, was diesen wiederum die „Anpassung“ an ihre Unterstützer erleichterte. Letztendlich bezeichnen seit Jahrhunderten die Vertreter der chinesischen Chan-Schule selbst den Chan als ein aus Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus zusammengesetztes Glaubenssystem.


Trotz der mangelhaften Historizität der Transmissionslinie der Chan-Patriarchen und ihrer eindeutig religionspolitischen Funktion sollte nicht vergessen oder missachtet werden, dass die über sie transportierten Inhalte durchaus auch religiöse bzw. philosophische Vorstellungen widerspiegeln. Sowohl  in ihrem Kern wie auch in den vielen sie umrankenden Legenden finden sich Geschichten und Bilder von außerordentlicher Aussagekraft und Tiefe, die bis heute viele Menschen berühren.





Fotos:
(1) Statue des Bodhisattva Guanyin, Halle der sechs Patriarchen, Shaolin-Tempel - © copyright yss
(2 bis 5) Außen- und Innenaufnahmen der Halle der sechs Patriarchen, Shaolin-Tempel, aus der Zeit vor dem Tempelbrand 1928, ca. 1920 - © copyright unbekannt
(6 bis 8) Statuen in der Halle der sechs Patriarchen, Shaolin-Tempel, © copyright yss


Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.
12.12.2012 - yss
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