Shaolin-Kloster

Der Stelenwald  (碑林 beilin)


(2008年)

Der kleine Stelenwald des Shaolin-Klosters besteht aus mehr als 20 mit Inschriften versehenen Steintafeln, die verschiedenen Zeitaltern entstammen. Das Spektrum ihrer zeitlichen Herkunft reicht von der Neuzeit über die Dynastien der Qing (1644-1911) und Ming (1368-1644) bis zur Yuan Dynastie (1279-1368). Die Stelen stammen von bedeutenden Mönchen des Tempels, von japanischen Mönchen und Förderern der Shaolin-Kultur, von amerikanischen und europäischen Kungfu-Schülern u.v.m. Alle diese steinernen Denkmäler sind voller Geschichte und Geschichten. Hier werden einige von ihnen vorgestellt.


Tianwangdian - beilin (vor 1928)*

Eine der Yuan-zeitlichen Stelen stammt von einem japanischen buddhistischen Mönch mit dem chinesischen Namen Shao Yuan (邵元, 1295-1364). In Japan legte er im „Ost-Glück-Tempel“ (东福寺 dongfu si) das Mönchsgelübde ab, später leitete er als Abt das „Chan-Kloster der aufrechten Lehre“ (正法禅寺 zheng fa chan si). Er war ein Schüler von Da Zhi (大智, 1290 – ca. 1366), einem angesehenen japanischen Meister der Chan-Schule. Da Zhi hatte von 1312 bis 1325 China bereist und in verschiedenen Klöstern den Chan-Buddismus studiert, wobei er auch einige Zeit im Shaolin-Tempel verbrachte, um  Faust- und Stockkampf zu lernen. Er kehrte in seine Heimat zurück und verbreitete dort die Lehre des Chan und die Kampfkunst der Shaolinmönche.
1327, zwei Jahre nach der Rückkehr Da Zhis, reiste sein Schüler Shao Yuan nach China, um ebenfalls den Chan-Buddhismus „an der Quelle“ zu lernen und das Werk seines Meisters fortzusetzen. Nachdem er viele Monate durch China gewandert war und namhafte Klöster besucht hatte, kam er 1329 zum Shaolin-Tempel. Er wurde von Meister Xi An (息庵, 1284 - 1340) als Schüler angenommen und lernte von ihm in den folgenden Jahren Chan-Buddhismus und auch Shaolin-Gongfu. Im Tempel wurde er erst als Sekretär (书记shuji) beschäftigt, nach einiger Zeit wurde er sogar zum Vorsteher (首座shouzuo,- die zweithöchste Rangstufe in der Tempelhierarchie) ernannt.
Xi An wurde 1336 zum Abt des Tempels geweiht. Im darauffolgenden Jahr gaben er und Shao Yuan die Anfertigung einer großen Eisenglocke für den Tempel in Auftrag. Die Glocke ist noch heute existent und steht im Vorbau der Residenz des Abtes (方丈室  fangzhang shi).
Als der Mönch Zhao Gong (照公), der um 1320 den Shaolin-Tempel als Abt geleitet hatte, verstarb, ersuchte man Shao Yuan, eine Inschrift für ihn zu verfassen. Diese wurde in eine Steintafel der für den Mönch errichteten Pagoden-Inschrift gemeißelt. Die Pagode steht heute in der Mitte des Pagodenwaldes (塔林 ta lin).
1340 verstarb der Abt Xi An. Shao Yuan wurde gebeten, zum Gedenken seines Meisters eine Steleninschrift anzufertigen. Die große Steintafel trägt den Titel: „Stele der buddhistischen Kultivierung des Chanmeisters Xi An" (息庵禅师道行碑  xi’an chanshi daoxing bei); sie ist erfreulicherweise bis heute erhalten geblieben und steht im Stelenwald des Tempel.
Insgesamt verbrachte Shaoyuan 21 Jahre in China, wo man ihn als einen großen Meister des Chan-Buddhismus und der Kampfkunst wie auch der Kalligraphie und der Malerei achtete. Er kehrte 1347 nach Japan zurück. Noch heute wird er im Tempel als eine der herausragenden Gestalten in der Geschichte des kulturellen Austauschs zwischen China und Japan geehrt.




Eine weitere wichtige Stele ist jene des Yuezhou Wenzai (月舟文载禅师, 1454 – 1526), eines berühmten Chan-Meisters der mittleren Ming-Dynastie. Im Alter von 13 Jahren ging er in die Hauslosigkeit und lernte in vielen der großen Klöster Chinas. Im "Tempel der weißen Pagode" (白塔妙应寺 bai ta miaoying si) in Beijing studierte er 30 Jahre lang den buddhistischen Kanon (Tripitaka).  1497 baten ihn die Mönche des Shaolin-Tempels erstmals, als Abt das Kloster zu leiten, doch er lehnte ab. Weitere vergebliche Ersuchen der Mönche folgten. Schließlich war er gewillt,  das Amt zu übernehmen,  unter der Bedingung, daß der Kaiser ihm eine entsprechende Anordnung erteile.  Er erhielt die Anordnung, und wurde so von 1510 bis 1522 Abt des Shaolin-Klosters. In seiner Amtszeit reorganisierte er die Mönchsgmeinschaft, ließ Trommelturm, Abtresidenz, Lixue-Pavillon, Küche und Lagerräume renovieren und auf dem Ganlu-Plateau eine Tempelhalle erbauen. Yuezhou Wenzai soll mehr als eintausend Schüler gehabt haben. Er wird heute besonders als Protagonist des Shaolin-Stockkampfes verehrt. Im Stelen-Korridor des Ciyun-Pavillions gibt es nämlich noch eine weitere Steintafel von ihm, die jene im Stelenwald an historischer Relevanz noch übertrifft, da sie  als erstes Dokument den "Schutzheiligen" des Shaolin-Tempels, - Vajrapani/Jinnaluo (紧那罗) - nicht mehr mit dem üblichen Donnerkeil, sondern mit einem Stock bewaffnet darstellt.

Die nahezu ein halbes Jahrtausend alte Stele des Chanmeister Yuezhou Wenzai

Stele des Chanmeisters Yuezhou Wenzai (Detail)



Zu den bedeutendsten Stelen jüngerer Zeit zählt jene des Japaners Zong Daochen (宗道臣, jap.: Doshin So), der als junger Mann in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts im Shaolin-Tempel Gongfu gelernt hatte. Er kehrte nach Japan zurück und gründete dort die Union für den Faustkampf des Shaolin-Tempels / Shorinji Kempo (chin.: 日本 少林寺 拳法 联盟 riben shaolinsi quanfa lianmeng). 1979 besuchte er mit einer Delegation von ca. 300 Personen den Shaolin-Tempel,- ein Ereignis, das viel Beachtung erfuhr und einen weiteren Baustein in der Normalisierung der aufgrund von Kriegstraumata gestörten Beziehungen zwischen China und Japan darstellte. Als er ein Jahr später seinen Besuch wiederholte, wurde eine Stele zum Gedenken an die Freundschaft der Menschen beider Länder errichtet, deren  etwas blasses Aussehen über ihre herausragende  Bedeutung hinweg täuscht.

Zong-Daochen-Stele (2011)


Ebenfalls das moderne Zeitalter und eine Erfolgsstory im Ausland vertritt eine große Steintafel, deren Inschrift sowohl in Englisch als auch in Chinesisch verfasst ist. Sie wurde 2004 von Shi Yong Xin, dem Abt des Shaolin-Tempels zu Ehren der Organisation United Studios of Self Defence Inc. (USSD Inc.) und ihrer Gründer Steve Demasco und Charles Mattera errichtet.
Die USSD ist eine Organisation in den USA, die sich mit den Kampfkünsten - vornehmlich „Shaolin Kempo Kungfu“ – befaßt und landesweit über 145 „Studios“ genannte Schulen verfügt. Steve Demasco wurde als Verfasser des Buches „The Shaolin Way“ (Titel der deutschen Übersetzung: „Der Weg des Shaolin“) bekannt, in dem er über seine schwierige Jugend im New Yorker Stadtteil Harlem und den positiven Einfluß der Shaolin-Kultur auf sein Leben erzählt. Schon seit 1997 reist er regelmäßig zum Shaolin-Tempel. Shi Yongxin nahm ihn als direkten Schüler an und gab ihm den Namen „Yandi“. 2009 bezeichnete er ihn als seinen wichtigsten amerikanischen Schüler. Mittlerweile hat Demasco sich von USSD getrennt und die „Steve Demasco’s Shaolin Studios“-Kette („SDSS“) mit bislang 11 über drei US-Bundesstaaten verteilte „Studios“ gegründet. Eine Besonderheit an Demasco ist die extreme Betonung von Auszeichnungen, Ehrentiteln, „Verdiensten“ in seiner Selbstdarstellung und die Implementierung eines diesem Muster entsprechenden  „Belohnungssystems“ in seine Studios.
USSD-Stele (2011)
Die erste Reise der USSD mit Besuch des Shaolin-Tempels fand im Juni 2000 statt und hatte 168 Teilnehmer. Die Gruppe wurde vom Abt und von Honoratioren des Shaolin-Tempels mit großen Ehren empfangen. Die USSD-Leiter übermittelten Shi Yongxin ein Schreiben des US-Kongresses (gez.: Christopher Sheas), das die Gratulation zu seiner Abtweihe (1999) sowie Danksagungen für die Annahme von DeMasco und Mattera als Schüler und für den Beitrag zum Fortschritt der Beziehungen zwischen China und den USA beinhaltete. Auch wurde eine Spende für die Renovierung des Glockenturms überrreicht. Steve DeMasco versprach dem Abt, bei seinem Besuch im folgenden Jahr mit einer noch größere Gruppe anzureisen. 2001 besuchte er den Tempel mit einer Gruppe von 175 Reiseteilnehmern. Im August 2003 sponsorte die USSD dann eine 2tägige „Shaolin Extravaganza Show“ im Disneyland-Resort von Anaheim,  Kaliforien, USA, zu der eine Delegation von  Shaolin-Mönchen unter Leitung von Shi Yongxin anreiste. Nach Angaben der USSD nahmen 2000 Schüler und Instruktoren ihrer Organisation an der Veranstaltung teil.
Im Juni 2004 fand die dritte China-Reise der USSD mit 300 Personen statt, die auch in den Shaolin-Tempel führte. Angesichts des Preises von 4500 US-Dollar pro Person für eine Reise von insgesamt 12 Tagen zu den gängigen Reisezielen in China (davon 2 Tage im Shaolin-Tempel) ist sie vor allem eine erstaunliche Verkaufsleistung. Bei diesem Besuch ließ der Abt Shi Yongxin zu Ehren der USSD und ihrer Protagonisten eine Stele errichten. Die feierliche Zeremonie, in deren Verlauf die Stele von Shi Yongxin geweiht wurde, war der Höhepunkt dieser USSD-Reise. 
 Seither folgten zahlreiche weitere Besuche, Spenden und Ehrungen. Steve Demasco ist mit seinen an eine Supermarktkette erinnernden "Studios" in der Vermarktung des Namens "Shaolin" auf US-amerikanischem Territorium weiterhin ausserordentlich erfolgreich und besucht nach wie vor den Shaolin-Tempel mit Reisegruppen von beeindruckender Größe. Im Gegenzug wird er von Shi Yongxin als ein ganz besonderer Freund des Shaolin-Tempels und Vermittler der Shaolin-Kultur gepriesen.



Auf der gleichen Seite des Mittelweges befindet sich am Ausgang-nahen Ende der Stelenreihe der Gedenkstein einer anderen Kampfkunst-Organisation, die durch ihre Größe und Mitgliederzahl imponiert. Es ist die World Tang Soo Do Association, eine in den USA beheimatete Vereinigung mit mehr als 500 "Studios" und über 100 000 Mitgliedern in 36 Ländern. "Tang Soo Do" ist eine traditionsreiche koreanische Kampfkunst, die auf eine Geschichte von 2000 Jahren zurückblicken kann. 

World-Tang-Soo-Do-Association-Stele (Vorderseite)
World-Tang-Soo-Do-Association-Stele (Rückseite)
















    










Der europäische Kontinent ist in dieser Stelensammlung durch einen Gedenkstein der Swiss Federation of Shaolin Kungfu and Taijiquan vertreten, der schon im Jahr 1988 errichtet wurde:

Swiss Federation of Shaolin Kungfu



 Zwischen all den in Stein gemeisselten Lobes-, Dankes- und anderen Worten bzw. Zeichen gibt es auch reizvolle bildliche Darstellungen:


  





Der Stelenwald zieht sich - in zwei Reihen zwischen alten Bäumen auf einem erhöhten Mittelweg angeordnet - vom Eingangstor bis zur Halle der Himmelskönige hin, zu der man einige Treppenstufen hinaufsteigen muß, um weiter in das Innere des Tempels zu gelangen.






14.04.2010--yss
Letzte Änderung: 17.06.2011
Urheberrechtlich geschütz.Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.
*"tianwangdian beilin": copyright shaolin.cn.com all rights reserved (Veröffentlichung des Fotos mit freundlicher Genehmigung von Shi Yan Long) 
Alle übrigen Fotos: copyright yss



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