Die Gingkobäume (银杏) des Stelenwaldes 



Hinter dem Haupteingang des Shaolin-Tempels stehen auf dem Mittelweg drei große alte Ginkgo-Bäume von imposanter Erscheinung. Einer von ihnen soll mehr als 1500 Jahre alt sein und gilt als der älteste Ginkgo-Baum im Klostergelände. Es heißt, dass er nur noch Blüten trägt, jedoch keine Früchte mehr entwickelt, weshalb er „Luohan-Baum“ (罗汉树)  genannt wird. Ein anderer Ginkgo-Baum fällt durch die Löcher in seinem Stamm auf, die durch Übungen der Shaolin-Mönche zum Abhärten ihrer Finger entstanden sein sollen. 



 Von den zahlreichen Besuchern des Tempels sind es natürlich besonders die Schüler des Shaolin-Gongfu, die sich von ihm angezogen fühlen. Er spendet im Herbst reichlich Früchte, die von denen, die um ihren Wert wissen, schon frühmorgens eifrig eingesammelt werden. 
             



Unzählige Menschen ziehen täglich an unter diesen Bäumen vorbei, und manche nehmen sich sogar die Zeit, auf den Bänken in ihrem Schatten auszuruhen und ihre Schönheit zu genießen. Ob sie wohl wissen, dass sie unter  Dinosauriern der Pflanzenwelt sitzen?
 


























 
Der Ginkgo biloba gilt als das älteste lebende Fossil der Pflanzenwelt unserer Erde. Er ist der letzte Repräsentant der botanischen Ordnung der „Ginkgoales“. Die wiederum ist der einzige Vertreter der Klasse „Ginkgophytae“, von der uns als ältestes Beispiel ein Blattfossil aus der Zeit vor 270 Mio. Jahren (!) erhalten blieb. Einstmals in sowohl in Asien als auch in Nordamerika und Europa beheimatet, verschwand der Ginkgo im Laufe der Erdzeitalter erst aus Nordamerika und vor ca. 2,5 Mio. Jahren auch aus Europa. Selbst in Asien reduzierte sich sein Vorkommen auf Rückzugsgebiete in Südwesten von China. Natürliche Bestände („wilder Ginkgo“) wurden noch in dem abgelegenen Gebiet des Tianmushan (天目山) der chinesischen Provinz Zhejiang vermutet, heute geht man jedoch davon aus, dass die dortigen Ginkgos von Mönchen angepflanzt wurden. Als Kulturpflanze fand der Ginkgo-Baum in China eine weite Verbreitung, vornehmlich zur Zierde und zur Nutzung seiner Samen und Blätter.



Anfang des 18. Jahrhunderts gelangte der Ginkgo wieder nach Europa. Der Baum wurde zuerst in botanischen Gärten, später - aufgrund seiner Robustheit - zunehmend in Parks, Grünanlagen und an Straßenränder gepflanzt. Auch in Nordamerika tauchte er wieder auf, und zwar in beachtlichem Umfang: im US-Bundesstaat Carolina befindet sich heute die mit 2,5 Quadratmeilen weltgrößte Anbaufläche von Ginkgo-Bäumen zur Herstellung von medizinischen Präparaten. Der Umsatz der aus ihnen gewonnenen Naturpräparate soll sich allein in den USA auf  jährlich ca. 300 Mio Euro belaufen. So ist der Ginkgo dort ein beachtlicher Wirtschaftsfaktor geworden.


Ginkgo biloba wird sowohl in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), als auch im Westen als Heilpflanze genutzt. Schon in alten chinesischen Schriften zur Medizin wird die Heilkraft seiner Blätter beschrieben. In der TCM werden sie zur Behandlung von Atemwegserkrankungen wie Asthma bronchiale und Bronchitis eingesetzt, außerdem bei TBC, Kreislaufbeschwerden und Gonorrhea. Auch werden Hautkrankheiten, Frostbeulen und Wunden damit behandelt.
Im Westen wird den Ginkgo-Blättern Wirksamkeit bei der Behandlung von demenziellen Erkrankungen, insbesondere der Alzheimer Krankheit nachgesagt. Studien hierzu weisen jedoch unterschiedliche Ergebnisse auf, die Mehrzahl von ihnen kam eher zu negativen Ergebnissen. Die Wirksamkeit bei der Weißfleckenkrankheit ("Vitiligo"), einer Pigmentstörung der Haut, wurde jedoch erwiesen und ist wahrscheinlich auf die antioxidativen Eigenschaften der Blätter zurückzuführen. Desweiteren wird meist die durchblutungsfördernde und neuroprotektive Wirkung von Ginkgo-Blättern hervorgehoben.


Die Samen des Baumes wurden in früherer Zeit in China ebenfalls zu medizinischen Zwecken eingesetzt, meist mit ähnlichen Indikationen wie die Blätter, doch auch zur Unterstützung der Verdauung und zum Schutz vor Infektionen. Zudem glaubte man, daß sie einen Nieren-Yang-Mangel ausgleichen und somit die sexuelle Energie fördern können. Sie waren schon im 11. Jahrhundert als kleine Köstlichkeit, die man besonderen Gästen offerierte, beliebt und sind es bis heute geblieben. Genutzt wird nur der gelbe Kern des Samens, jedoch nicht in rohem Zustand. Er wird meist geröstet und gesalzen als Beilage oder Knabberei gereicht oder als Gewürz verwendet. Von übermäßigem (> 5 Samen/Tag) oder regelmäßigem Genuß wird jedoch abgeraten, da dies zu Vergiftungserscheinungen führen kann.


In China wird der Ginkgo biloba von alters her aufgrund seiner Schönheit und Symbolträchtigkeit als heiliger Baum verehrt und meist in Tempelanlagen und Palastgärten gepflanzt. Da er eine hohe Resistenz gegen Schädlingsbefall aufweist und in Bezug auf Klima und Boden sehr anspruchslos ist, kann er ein hohes Alter erreichen und ist somit ein Symbol für Widerstandsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Langlebigkeit. So gibt es in China nicht wenige Exemplare, die eine Höhe von bis zu 40 Metern erreicht haben und denen ein Alter von mehr als 1000 Jahren nachgesagt wird. Der Rinde des Baumes wird zudem das Ausscheiden einer Substanz von feuerdämmender Wirkung zugeschrieben. Auch dies ist ein guter Grund, warum der Ginkgo-Baum bis heute gern in Tempeln und in ihrer Nähe gepflanzt wird.


Aufgrund der Ähnlichkeit eines Ginkgo-Blattes mit dem Abdruck des Fußes einer Mandarin-Ente wurde der Baum in der Song-Dynastie (960 – 1279) „Entenfuß“ (鸭脚 ya jiao) genannt. Ab dem 11. Jahrhundert kam zusätzlich die Bezeichnung „Silberne Aprikose“ (银杏 yin xing)  in Gebrauch, die heute in China der meist verwendete Name des Baumes ist. Weitere Namen sind „Weiße Frucht“ (白果 bai guo) und „Grossvater-Enkel-Baum“ (祖孙树 zu sun shu), letzterer bezieht sich darauf, daß der Baum erst in hohem Alter Früchte trägt, also vom Großvater gepflanzt werden muß, damit der Enkel die Früchte ernten kann.




19.05.2010 / yss
Letzte Änderung: 06.10.2013
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