Der Shaolin-Tempel und die Ordination  (受戒 shou jie) 


Die Ordination von Mönchen und Nonnen ist im Budhismus von herausragender Bedeutung, sorgt sie doch für den Erhalt und die Sicherung der buddhistischen Gemeinschaft, einem der „Drei großen Schätze“ (Buddha, Lehre, Gemeinschaft) zu denen jeder Buddhist Zuflucht sucht, zu denen er sich bekennt. Sie zählt zu den größten und wichtigsten Riten der buddhistischen Gemeinschaft. Auf persönlicher Ebene bedeutet sie, nach der Vorbereitungszeit durch das Noviziat den definitiven Übergang in ein Leben als buddhistischer Mönch bzw. buddhistische Nonne. 

Zur Zeit des Buddha war die Aufnahme in den Orden noch recht unkompliziert. Wenn ein Mensch, der die ersten Unterweisungen des Buddhas erhalten, seine Lehre angenommen und sein Vertrauen in sie gefestigt hatte, den Wunsch hegte, Mönch zu werden, so bat er ihn: „Möge ich, o Herr, in Gegenwart des Erhabenen zum Fortziehen aus dem Haus gelangen und die Mönchsweihe empfangen. Möge ich in Gegenwart des Erhabenen den reinen Wandel üben.“ Daraufhin forderte der Buddha ihn auf: „Komm, Mönch; die Lehre wurde gut dargelegt, übe den reinen Wandel, um dem Leiden ein endgültiges Ende zu setzen.“ Auch Sariputra und sein Freund Maudgalyayana, später zwei der herausragendsten Schüler des Buddha,  wurden von ihm, zusammen mit 250 Wandermönchen, lediglich mit den zwei Worten „Kommt, Mönche“ aufgenommen.



 Schon zu Buddhas Lebzeiten sorgte man sich um seinen Nachfolge. So gab es seitens seiner Anhänger Versuche, von ihm als Nachfolger bestimmt zu werden, doch er wehrte sich dagegen mit aller Deutlichkeit. Vor seinem Tod und dem Eingang in das Parinirvana bestimmte er: „Die Lehre und die Ordenszucht, die ich euch dargelegt und erläutert habe, sind nach meinem Tode eure Meister“. Es gab somit nach dem Buddha keinen von ihm eingesetzten Nachfolger, seine Autorität ging allein auf seine Lehre und die Regeln der Zucht über, die von der Sangha erhalten und weitergeben wurden. Natürlich wurden dadurch jene, die im "Besitz" dieser Lehre und der Regeln waren, ihrerseits zu Autoritäten.

Da nun die Sangha für die authentische Überlieferung der Lehre und Regeln des Buddhas über die Generationen hinweg die Verantwortung trug, war eine genaue, „rechtsgültige“ Festlegung und Durchführung der Ordination von großer Bedeutung. Die dazu aufgestellten Vorschriften sind Teil des Vinaya-Pitaka, dem „Korb der Mönchszucht“, einem der drei Teile des buddhistischen Kanons, der - wenn auch Jahrhunderte nach dem Hinscheiden des Buddha - noch in der Frühzeit des Buddhismus ausgeformt und schriftlich niedergelegt wurde.

Für eine gültige Ordination sind die sie regelnden, sehr detaillierten Vorschriften, die sich vornehmlich auf Ort, Teilnehmer und Durchführung beziehen, exakt einzuhalten. Sie beinhalten folgende Hauptpunkte:
  • Der  Ordinationsort muss durch entsprechende Zeremonien eine klare Begrenzung erhalten, da die Ordination, um als Rechtshandlung Gültigkeit zu haben, innerhalb einer formalen Klostergrenze (sima) vollzogen werden muss.
  • Die Ordinationszeremonie erfordert die Anwesenheit von 10 vollordinierten Mönchen („zehn Meister“; 十师 shi shi), die bestimmte Vorbedingungen zu erfüllen haben; zumindest der Vorsitz muss von einem seit mindestens 10 Jahren geweihten Mönch geführt werden. Die "zehn Meister" werden zudem  hinsichtlich ihrer Aufgaben unterteilt in  "drei Lehrer und sieben Zeugen" (三 证 san shi qi zheng). In Ausnahmefällen ist die Anzahl von fünf die Ordination leitenden Mönchen ausreichend.
  • Für den Eintritt in den Orden gibt es im allgemeinen keine Schranken in Bezug auf Geburt und Herkunft. Bestimmte Personen sollen jedoch aus verschiedenen Gründen von der Aufnahme in den Orden ausgeschlossen werden:
    • Personen, die noch nicht das Mindestalter von 20 Jahren (ab dem Zeitpunkt der Empfängnis gerechnet) erreicht haben. In China wurden  seit jeher   Ausnahmen zugelassen, die man dann als „Behelfs-Regel“ ( 方便戒  fangbian  jie) bezeichnete; heute ist allgemein die Ordination ab dem Erreichen der gesetzlichen Volljährigkeit (18 Jahre) erlaubt. 
    • Eunuchen und Zwitter
    • Personen, die bestimmte Verbrechen begangen haben, z.B.  Mord an Vater,   Mutter oder einem Arhat, Vergewaltigung einer Nonne, böswillige Verletzung eines Buddhas
    • Personen, die ohne Aufnahme in den Orden den  Status eines Mönches/einer Nonne vorgegeben haben  
    • Personen, die eine Ordensspaltung verusacht haben
                Die Ordination folgender Personen stellt für den Ordinierenden einen Bruch mit den Regeln
                dar, doch sie verliert dadurch nicht ihre Gültigkeit:
    • Personen mit bestimmten körperlichen Behinderungen, fehlenden Gliedmaßen, ansteckenden Krankheiten u.a.
    • Soldaten, Schuldner, Sklaven
    • Aus dem Gefängnis Entflohene u.a. polizeilich Gesuchte
                u.a.
               Auch Frauen war anfangs die Aufnahme in den Orden verwehrt, nur zögerlich erlaubte sie
               der Buddha, und auch nur unter der Auflage zusätzlicher Regeln und Verpflichtungen, durch
               die Nonnen den Mönchen untergeordnet wurden (und es bis heute sind).
  • Der Novize muss in Besitz einer Almosenschale und der drei Mönchsgewänder sein
  • Die Durchführung der Ordinationszeremonie muss die 3-malige Bitte des Novizen um Aufnahme in den Orden beinhalten, sowie die Befragung des Novizen, die Beichte, die Befragung der Mönchsgemeinschaft nach Einwänden gegen die Aufnahme, die Information der Mönchsgemeinschaft über erfolgte Belehrung u.v.m.
  • Nach der Aufnahme in den Mönchsorden wird der genaue Zeitpunkt der Ordination festgestellt und notiert, da dieser wichtig ist für die Seniorität des neuen Mönches, d.h. für die Rangfolge in der Klosterhierarchie. Zudem wird der neue Mönche über die vier materiellen Grundlagen des Lebens (食緣 / paccaya) aufgeklärt.





Mit der Einführung des Buddhismus in China und seiner Anpassung an die dortigen Gegebenheiten, wurde die Ordination mehr und mehr staatlicher Kontrolle unterworfen. Die chinesischen Kaiser erlaubten ihren Untertanen nicht ohne weiteres, sich den zivilen Verpflichtungen wie Frondienst, Militärdienst, Steuerzahlung etc. zu entziehen. Mit der Auflage, daß die Klöster sich verpflichteten, religiösen Verdienst für das Wohl des Kaisers und der Allgemeinheit zu erwirken, erhielten manche Klöster (meist „Staatsklöster“) die kaiserliche Erlaubnis, in bestimmten Intervallen Ordinationen durchzuführen. Die Anzahl der Ordinationen wurde von den Herrschern auf das ihnen jeweils gerade angemessen erscheinende Maß limitiert. Auch wurden schon früh Ordinationszertifikate (戒牒 jièdie) eingeführt. Nicht autorisierte Ordinationen wurden hart bestraft.

Parallel hierzu fand die „innere“ Anpassung des Buddhismus statt, seine Weiterentwicklung zu einem „chinesischen Buddhismus“, in deren Rahmen auch die Regeln der Ordination Veränderungen unterworfen wurden. Eine herausragende Rolle spielte hier Daoxuan (道宣 / 596 – 667), ein tangzeitlicher buddhistischer Mönchsgelehrter, der als Gründer der chinesischen Vinaya-Sekte (律宗) angesehen wird und zahlreiche Texte  über die buddhistischen Gesetze und Regeln verfasste, die bis heute von Bedeutung sind. Er veränderte sowohl die Ordinations-Plattform (den vorgeschriebenen Ort der Ordination) wie auch die Ordinations-Zeremonie anhand einer zeitgenössischen Interpretation von Ideen des Mahayana und neu eingeführter Schriften mit dem Ziel, in China einen einheitlichen monastischen Orden zu bilden und somit eine starke monastische Identität zu schaffen.  Kurz vor seinem Tod schrieb er das monumentale Werk „Illustrierte Schrift über die Errichtung der Ordinations-Plattform“ (关中创立戒坛图经 guanzhong chuangli jietan tujing). Es war das erste von einem chinesischen Mönch verfasste Dokument über das Ordinations-Ritual und ein richtungsweisendes Standardwerk für die zukünftige Errichtung von Ordinations-Plattformen und die Entwicklung des klösterlichen Ordens.
 


Im Chinesischen wird die buddhistische Ordination von Mönchen und Nonnen „Erhalt der Regeln“ (受戒 shou jie) oder „Weitergabe der Regeln“ (传戒 chuan jie) genannt. Im allgemeinen findet sie im Rahmen der „Dhama-Versammlung zur Weitergabe der großen Regeln der drei Plattformen“ oder "Dharma-Versmmlung zur Übermittlung der großen Regeln der drei Altare" (传授三坛大戒法会 chuanshou san tan da jie fahui ) statt, in deren Verlauf die Novizen-Regeln, die Mönchs- oder Nonnen-Regeln und die Bodhisattva-Gebote weitergegeben werden. Nur mit dieser in der Zeit der Ming-Dynastie eingeführten „dreifachen Ordination“ erhält man in China die Anerkennung als vollordinierter Mönch bzw. als vollordinierte Nonne.



Die Dharma-Versammlung zur Weitergabe der Regeln (传戒法会 chuan jie fahui)  wird auch im heutigen China von ausgewählten „Weihe-Tempeln“ zu festgelegten Zeiten und jeweils für eine größere, vorbestimmte Anzahl von Ordinanden vollzogen. Aufgrund der Wichtigkeit der Ordination für alle Klostergemeinschaften, ist es eine Ehre, dem Kreis der zugelassenen Weihe-Tempel anzugehören. Ein Tempel muss dafür außer den religiösen Vorgaben auch bestimmte „weltliche“ Voraussetzungen erfüllen. So muss er z.B.  genügend Platz und eine ausreichende Anzahl an Hallen besitzen, die entsprechende Menge benötigter Materialen bereitstellen und die erforderlichen Organisationsstrukturen aufweisen können. Er erhält zwar von den Ordinanden resp. ihren Meistern eine moderate Gebühr für die Ordination und von den Laien zahlreiche Spenden, diese reichen jedoch im Allgemeinen nicht zur Bestreitung der Kosten aus. Folglich muss der Tempel auch über ausreichende finanzielle Reserven verfügen, um in organisatorischer und materieller Hinsicht den großen Ansprüchen dieses bedeutsamen Ereignisses gerecht zu werden.  Sind die nötigen Grundlagen geschaffen, stellt der Tempel bei der Buddhistischen Vereinigung Chinas (中国佛教协会 zhongguo fojiao xiehui) einen entsprechenden Antrag, wird von deren Prüfern besucht und kann bei Eignung die Erlaubnis für die Durchführung der umfangreichen Veranstaltung erhalten.



Die Ordinationsversammlung erstreckt sich über ca. einen Monat. Sie beginnt mit der Registrierung der Teilnehmer, dem feierlichen Empfang der geladenen Würdenträger und der Weihe der Stätte. Um die Ordination zu erhalten, müssen sich die Ordinanden einer Prüfung unterziehen. Erst wenn sie diese erfolgreich bestanden haben, können sie um den Erhalt der Regeln bitten. Die Ordinanden erhalten Schulungen in buddhistischer Etikette und in den zahlreichen Regeln des monastischen Lebens. Dabei lernen sie, wie man geht, wie man steht, wie man sein Reisegepäck packt, seine Aufgaben (z.B. in den Hallen) dem nächsten Mönch übergibt und wie man Gäste empfängt, sie werden in den korrekten Gebrauch der Mönchsgewänder und der Ess-Schalen eingewiesen, u.v.m. Vieles davon haben sie schon im Verlauf ihres Noviziats gelernt, doch erhalten sie nun die „letzte Politur“ ihres Verhaltens. An diesem läßt sich dann erkennen, ob sie in einem Kloster ordiniert wurden, in dem die Etikette, das rituelle Verhalten und die Einhaltung der Regeln „richtig“ gelehrt wurden oder nur auf  laxe Weise.
Neben den Unterweisung theoretischer und praktischer Art finden entsprechend der rituellen Vorschriften zahlreiche Zeremonien statt. Zu ihnen zählen die Bußfeiern, an denen die Ordinanden teilnehmen, um sich von den Verfehlungen ihres alten Lebens zu läutern und ihr neues Leben als Mönch oder Nonne innerlich gereinigt zu beginnen.



Das Shaolin-Kloster besaß seit der Tang-Dynastie (618 – 907) eine Ordinations-Plattform und zählte seither zu den Tempeln in China, die die Verantwortung für die Weitergabe der buddhistischen Regeln an folgende Generationen trugen. In der Qing-Dynastie (1644 – 1911) wurde jedoch die Ordinationsplattform zerstört und der Tempel stellte die großen Ordinationsversammlungen ein. Deshalb schickte man nach der Wiedereröffnung des Tempels 1979 und der offiziellen Wiedereinführung der Ordination in China die Novizen des Shaolin-Klosters zum Erhalt der Mönchsweihe in die grossen Weihe-Tempel des Landes, - für einen Tempel mit einer derart großen Geschichte, wie sie der Shaolin-Tempel aufweisen kann, ein nicht sehr glücklicher Zustand. Um seiner Vergangenheit gerecht zu werden, musste der Tempel die alte, prestigevolle Tradition wieder aufnehmen. So ließ Shi Yongxin, der Abt des Shaolin-Tempels, von Oktober 2005 bis August 2006  die Ordinations-Plattform wiederherstellen und erwirkte die entsprechenden Genehmigungen  bei der Buddhistischen Vereinigung Chinas. Für die Leitung der Ordinationszeremonie konnte er  Persönlichkeiten gewinnen, die zu den höchsten buddhistischen Würdenträgern Chinas zählen.




 

















Nach einer Unterbrechung von mehr als 300 Jahren  fand vom 24. Mai bis 21. Juni 2007 die Dharmaversammlung zur Weitergabe der Regeln erstmals wieder im Shaolin-Tempel statt,- aufgrund ihres enormen Umfanges in Kooperation mit dem Shangqiu-Guanyin-Tempel (商丘观音寺). Shi Yongxin schreibt hierzu in seinem Buch „Shaolin in meinem Herzen“ („我心中的少林“): „Die Weitergabe der Regeln symbolisiert das Wiederaufleuchten einer glanzvollen Epoche des Tempels“ (传戒标志着一个寺庙的盛世到来).  Gemäss seinen Angaben im selben Buch durchliefen mehr als 1000 Menschen die Prüfung, 500 männlichen sowie 230 weiblichen Aspiranten wurde es gestattet, um den Erhalt der Regeln zu bitten.


Ein Glanzlicht dieser Ordinationsversammlung war die Teilnahme des hohen Würdenträgers Weixian (惟贤长老), eine der respektabelsten Persönlichkeiten des chinesischen Buddhismus der Gegenwart. Trotz seines hohen Alters von 87 Jahren übernahm er als Präzeptor den Vorsitz  der Ordinationszeremonie. 



2010 fand die Ordinationsversammlung im Shaolin-Kloster in der Zeit vom 20. April bis 21. Mai statt, in ihrem Verlauf erhielten 455 ausschließlich männliche Ordinanden, die aus allen Ecken des Landes angereist waren, die Weihen. Der Ablauf dieser Ordinationsversammlung ist - Tag für Tag - in mehreren auf Veröffentlichungen des Shaolin-Klosters basierenden Artikeln geschildert, beginnend mit: Die Ordinationsversammlung im Shaolin-Kloster 2010 - Teil 1.
Ein kurzer Bericht über die Ordinationsversammlung von 2013 mit einer Auswahl an Fotografien findet sich in dem Artikel Die Ordination im Shaolin-Kloster 2013.

Die nächste Dharmaversammlung zur Weitergabe der Regeln findet voraussichtlich im Jahr 2016 statt.



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Sämtliche Fotos: copyright by Songshan Shaolin-Tempel, China - Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Dharma-Meister Shi Yankai.
Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.
21.02.2010 - yss
Letzte Änderung: 1.02.2014
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