Shaolin - Mönche und Kampfmönche  (Teil 2)



Die "Kampfmönche" des Shaolin-Klosters (武僧 wuseng)

"The gang" *(1)

Im Shaolin-Kloster gibt es eine besondere Gruppe von Ordensangehörigen, die sogenannten „Kampfmönche“. Als ihr Ursprung werden im allgemeinen die Shaolin-Mönchssoldaten ( 少林僧兵 shaolin sengbing) der Tang-Dynastie angesehen. Es ist jedoch anzunehmen, dass es schon lange vor der Tang-Zeit wie in anderen buddhistischen Tempeln Chinas so auch im  Shaolin-Tempel Mönche gab, die die Kampfkunst beherrschten und sie zur Verteidigung der Interessen des Tempels einsetzten.
Nach dem Niedergang der Shaolin-Kultur Ende der 20er-Jahre bis Ende der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts und dem unermüdlichem Kampf der Mönche jener Zeit um den Erhalt des alten Könnens und Wissens, wurde 1986 das "Shaolin-Wushu-Team" ( 少林武术队  shaolin wushu dui) gegründet (*). Es wurde 1989 offiziell in "Shaolin Kampfmönch-Truppe" (少林武僧团 shaolin wusengtuan) umbenannt. Die derzeitige Truppe, zu der auch mehr als 19 vollordinierte Mönche gehören, ist ca. 150 Mann stark. Die Aufgaben der "Kampfmönche" haben sich im Laufe der Zeit gewandelt:  heute  liegen sie vor allem in der Repräsentation und Verbreitung von authentischem Shaolin-Kungfu als Hauptkomponente der Shaolin-Kultur. Deshalb favorisiert der Shaolin-Tempel für die chinesische Bezeichnung "武僧" (wuseng) mittlerweile die inkorrekte Übersetzung ins Deutsche als "Kungfu Mönch", ins Englische als "kungfu monk", was dem chinesischen "功夫僧" (gongfu seng) entspräche. Diese Bezeichnung kommt nun der tatsächlichen Tätigkeit der "Kampfmönche" zwar näher,  führt aber weiterhin die Bezeichnung als "Mönch" fort, die meist nicht zutriff, da eben nur ein geringer Anteil der Kampf- bzw. Kungfu-Mönche das Mönchsgelübde abgelegt hat.

Die nicht ordinierten "Kampfmönche" werden vom Shaolin-Tempel als Lernende (der Shaolin-Kultur) angesehen. Sie sollen innerhalb des Klosters zumindest die fünf Verpflichtungen für Laien befolgen, in der Regel jedoch die 10 Gebote für Novizen. Außerhalb des Tempels und besonders im Ausland halten sich jedoch - früher wie heute - viele von ihnen nicht an diese Gebote; am auffälligsten sind hierbei die Vorliebe für Prestigeobjekte und der Konsum von Fleisch und Alkohol. Die nicht-ordinierten "Kampfmönche"  des Shaolin-Klosters (also die absolute Mehrheit), sind natürlich den Mönchen anderer buddhistischer Klöster nicht gleichgestellt und werden dementsprechen außerhalb des Shaolin-Klosters nicht wie Mönche behandelt. Da sie keine Mönchsgelübde abgelegt haben, ist ihre Bezeichnung als  „Kampfmönche“ , "Shaolin-Tempel-Mönche" unzutreffend und irreführend. Sie hat sowohl in China wie auch im Ausland zu überzogenen Erwartungen in Bezug auf diese Ordensgruppe geführt und in der Folge zu zahlreichen Enttäuschungen und falschen Anschuldigungen. Noch heute kann man – besonders in vom Shaolin-Tempel etwas entfernter gelegenen Gegenden (z.B. Shanghai, Ningbo, Kunming)  auf durchaus gebildete Chinesen treffen, die nicht wissen oder nicht glauben, daß der  Shaolin-Tempel ein Kloster ist, in dem ernsthaft Buddhismus praktiziert wird und in dem es „echte“  Mönche gibt (sic!).  Einer der Gründe hierfür ist m.E., dass der Tempel in Zeiten, als er noch keine ausreichenden Möglichkeiten besaß, seine eigenen Interessen klar zu definieren und wirksam zu vertreten, nur eine einseitige Förderung erfuhr und in der Folge im Inland wie im Ausland über längere Zeit vornehmlich von (echten und falschen) "Shaolinmönch"-Showtruppen repräsentiert wurde. Es scheint, dass sich nach jahrelangen Bemühungen der Tempel in gewissem Umfang vom Diktat bestimmter Interessentgruppen befreien konnte, und nun etwas mehr Freiraum besitzt, eigene Interessen zu verwirklichen und Imageschäden intern wie extern besser aufzuarbeiten zu können, wenn auch weiterhin nur im Rahmen der zur Zeit gegebenen Möglichkeiten. Auf den Umgang des Tempels mit Wahrheit und Lüge, korrekten Bezeichnungen und "Augenwischerei" scheint dies jedoch wenig Auswirkungen zu haben: die Verwischung des Unterschieds zwischen ordinierten Mönchen und nichtordinierten "Kampfmönchen" wird nach wie vor vom Shaolin-Tempel wie auch von den mit ihm verbundenen ausländischen Shaolin-Zentren ausgiebig gepflegt. Zu sehr sind der Tempel und seine kommerziellen Repräsentanten abhängig von dem Image, das mit dieser Unklarheit aufrecht erhalten wird.


In vielerlei Hinsicht entsprechen die "Kampfmönche" den (in ihrer Frühzeit noch religiös gebundenen) Ordensrittern des europäischen Kulturkreises, die bis heute für Edelmut, Tugendhaftigkeit und Tapferkeit stehen (wenngleich diese Begriffe auch vom Aussterben bedroht sind). Sie richten sich auch nach den „Wu De“ (武德), das sind die moralischen Regeln der altchinesischen Kampfkunst, die in vielen Kampfkunst-Schulen Chinas befolgt werden. Dieser Moralkodex wird ebenfalls im Shaolin-Tempel gepflegt, ist jedoch keineswegs spezifisch für die Shaolin-Kultur. Für einen vollordinierten Mönch ersetzen ohnehin die buddhistischen Gebote jegliche anderen Regeln, so auch die „Wu De“. Viele der "Kampfmönche" haben einen für westliche Verhältnisse hohen Grad an tugendhaftem Verhalten (Sauberkeit, Pünktlichkeit, Zurückhaltung, Ehrlichkeit, Verschwiegenheit, u.v.m.). Einige unter ihnen sind tiefgläubige Buddhisten, auch wenn sie sich später nicht zu einem Leben als Mönch entscheiden, sondern zeitlebens im Laienstand bleiben.  

Die Gruppe der "Kampfmönche" besteht überwiegend aus jungen Erwachsenen sowie einigen Kindern und Jugendlichen. Ein wesentlicher Teil von ihnen wird aus einer mit dem Shaolin-Tempel in familiärer Verbindung stehenden Kampfkunstschule in Anhui rekrutiert, doch auch besonders begabte Kampfkunstschüler von Schulen aus Henan, Hebei und anderen Provinzen werden vom Shaolin-Tempel aufgenommen.  Ihre Hauptaufgabe  ist das Erlernen, Perfektionieren und Ausüben bzw. Vorführen des Shaolin-Kungfu (im Idealfall als Teil ihrer buddhistischen Praxis). Da sie außergewöhnlich hohen physischen Anforderungen entsprechen müssen, ist für die meisten von ihnen ihre Aufgabe als aktive Repräsentanten der Kampfkunst des Tempels zeitlich begrenzt. Auch wird die Arbeitskraft dieser jungen Männer oft zur Bestreitung des Lebensunterhalts ihrer Familie (Eltern, Geschwister) gebraucht, zumal diese nicht die im Westen übliche soziale Absicherung genießt. Einige von ihnen sind,- vermutlich keineswegs unentgeltlich -, neben ihrer Arbeit für den Shaolin-Tempel als Lehrkräfte an Kampfkunstschulen tätig. Für ihre weitere Zukunft wünschen sich viele „Wuseng“ eine Karriere im Film- resp. Stuntgeschäft  und im Showgeschäft oder eine eigenen Kampfkunstschule.  Desweiteren gibt es  Berufsmöglichkeiten im Staatsdienst (Polizei, Militär) wie auch im privaten Sektor des Personen- und Objektschutzes u.a. Nur wenige sind im Alter von 40 Jahren noch im Tempel, dann entweder als Lehrkräfte und Experten für Shaolin-Kungfu und/oder als vollordinierte Mönche.



Aus der Gruppe der "Kampfmönche" werden je nach Bedarf die Showteams des Shaolin-Tempels zusammengestellt, hauptsächlich für  Vorführungen im Tempel anläßlich besonderer Besucher oder Festivitäten, für repräsentative Inlands- und Auslandsreisen und für spezielle Projekte im kulturellen Bereich. In den letzten Jahren trat hier eine Gruppe besonders hervor: das Showteam für das Tanzprojekt „Sutra“ (chin. Name: "空间"). Das Tanzprojekt wurde von dem weltbekannten Tänzer und Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui aus Belgien ins Leben gerufen. Zusammen mit ca. 18 Kampfmönchen des Shaolin-Tempels schuf er ein einzigartiges Tanztheaterstück. Es zeigt mit minimaler, doch äußerst effektvoller Ausstattung einen Reigen von Geschichte(n) des Shaolin-Tempels und seiner Mönche, in dem sich die Kunstfertigkeit seiner Protagonisten voll entfalten kann. Die ausdrucksstarken Bilder entsprechen in ihrer Ästhetik, Poesie, freien Interpretierbarkeit und mitunter auch Rätselhaftigkeit sowohl allgemeinen Vorstellungen von Chan-Buddhismus wie auch dem vom Shaolin-Tempel gepflegten Image. Der Tempel bietet in seiner homepage eine Videoaufnahme der Aufführung von "Sutra" an: "SUTRA"-Link
Das Stück feierte weltweit herausragende Erfolge; die Truppe (später mit wechselnder Besetzung) wurde immer wieder zu Festivals eingeladen und war mehrere Jahre lang auf Welt-Tournee. Die in das Projekt involvierten Kampfmönche konnten durch die vielen Reisen, die künstlerische Arbeit in niveauvollem Rahmen und die Kontakte mit der internationalen Theater- und Tanzszene ihren Erfahrungsschatz und geistigen Horizont erheblich erweitern. Inwieweit sie dieses außer interessanter Arbeit auch Freiheiten und Annehmlichkeiten bietende Künstlerleben mit dem Klosterleben vereinbaren konnten und wollten, war von ihren individuellen Neigungen und Fähigkeiten abhängig. Beides erfolgreich zu kombinieren, hat z.B. der Leiter des „Sutra"-Showteams, Yanhao (延豪),  vollbracht. Mit bemerkenswerter Stringenz verband er in den letzten Jahren das weltliche Leben – neben der Arbeit in Tanz-Projekten auch Lehrtätigkeit in privaten, zusammen mit anderen Kampfmönchen geführten Kampfkunstschulen  u.v.m.  – mit engagierten Aktivitäten innerhalb des Klosters, zu denen die Teilnahme an den winterlichen Chan-Wochen, der Abschluss der internen Tempel-Prüfungen mit Bestnoten u.a. zählten. Angesichts seiner tadellosen Pflichterfüllung hinsichtlich der klösterlichen Aufgaben und den herausragenden weltlichen Erfolgen bei gleichzeitig bescheidenem, pragmatisch orientiertem Auftreten verwundert es nicht, daß er einmal anlässlich der Betreuung einer aus Großbritannien angereisten Schülergruppe im englischsprachigen Teil der homepage des Tempels als der „Lieblings-Kampfmönch“ („most favorite warrior monk“) des Abtes gepriesen wurde.  Eine für viele Shaolin-Kampfmönche vorbildliche Karriere.

Sutra *(2)


In den Jahrzehnten seit der Wiedereröffnung des Shaolin-Tempels waren viele Mitglieder der "Kampfmönch"-Truppe  zur Vorführung der Shaolin-Kampfkunst auf Auslandstourneen. Nicht wenige von ihnen entschlossen sich dabei, im Ausland zu bleiben und eigene Shaolin-Kungfu-Schulen zu errichten, manche darunter sind von sehr guter Qualtität.  Auch hat in den letzten 10 bis 15 Jahren der Abt des Shaolin-Klosters, Shi Yongxin (永信大和尚), verschiedene "Kampfmönche" offiziell mit der Gründung von Shaolin-Zentren im Ausland beauftragt. Die Errichtung neuer Shaolin-Zentren im Ausland zur weltweiten Verbreitung der Shaolin-Kultur ist ein erklärtes Ziel des Shaolin-Tempels. In Anbetracht des Anspruchs, nicht nur Kampfkunst, sondern auch den im Rahmen der Shaolin-Kultur wichtigen Chan-Buddhismus zu verbreiten, ist es wünschenswert, dass diese Aufgabe auch vollordinierten Mönchen übertragen wird. Dies hat auch der Abt des Shaolin-Klosters erkannt und so gibt es mittlerweile weltweit mehrere Shaolin-Zentren, die von Shaolin-Kampfmönchen geleitet werden, die diesem Namen von ihrem monastischen Status her gerecht werden.

 


Zum Abschluß kurz noch folgende 2 Begriffserklärungen:


Der Begriff „Großmeister“  (大师 dàshi) wird im Buddhismus als generelle Bezeichnung für einen bedeutenden Mönch verwendet. Heute weist der Begriff im täglichen Gebrauch auch auf die dem Meister nachfolgenden Generationen hin, bezeichnet also solche Meister, deren Schüler selbst schon Schüler unterrichten. Diese Meister werden auch „shiye“ (师爷) genannt. Kommt eine weitere Schülergeneration hinzu, nennen sie diesen Meister „zhushiye“ (祖师爷), mit der Bedeutung von „Urgroßmeister“ bzw. "Großmeister-Vorfahr".
Die Begriffe „sigong“ (师公) und „sitaigong“ (师太公) sind die Bezeichnung für „Großmeister“ und „Urgroßmeister“ in kantonesischer Sprache. Wie die obengenannten Begriffe in Hochchinesisch  (Mandarin) bezeichnen auch sie weder  ein Amt noch Verdienste, Qualitäten, Kenntnisstand oder gar Erleuchtungsgrad eines Meisters, sondern lediglich ein Beziehungsverhältnis.



Mit „Sujia Dizi“ (俗家弟子) werden allgemein buddhistische Laienanhänger, resp. Laienjünger eines buddhistischen Meisters oder Klosters bezeichnet. Im Zusammenhang mit dem Shaolin-Tempel wird diese Bezeichnung oft im Zusammenhang mit Kungfu-Meistern und TCM-Ärzten verwendet, die in einem früheren Lebensabschnitt selbst dem Shaolin-Kloster angehörten, es später aber wieder verließen (meist, um eine Familie und/oder eine eigene Kampfkunstschule bzw. Arztpraxis zu gründen) oder aber solche, die nie selbst im Shaolin-Tempel lebten, doch einen im Tempel lebenden Mönch zum Meister hatten, mit der "Zufluchtnahme-Zeremonie" (im Shaolin-Tempel) den buddhistischen Glauben angenommen haben. Ein "Sujia Dizi" des Shaolin-Tempels praktiziert aktiv die Shaolin-Kultur, und es wird von ihm erwartet, dass er den Ruhm und die Ehre des Tempels verteidigt. Im Kreis Dengfeng,- Dengfeng ist die dem Shaolin-Kloster nächstgelegenen Stadt-, gibt es naturgemäß nicht wenige Kungfu praktizierende „Sujia Dizi“, oft sind es ganze Kungfu-Familien, die seit Generationen Shaolin-Kungfu „an der Quelle“ gelernt haben und dem Tempel verbunden sind. Herausragende Größen unter ihnen sind Hao Shizai, Liang Yiquan, Liu Baoshan.


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Text *: hierzu divergieren die Angaben auf der jetzigen homepage des  Shaolin-Tempels: im Curriculum des Abtes (http://www.shaolin.org.cn/templates/EN_T_new_3list/index.aspx?nodeid=340 ) wird - wie in den meisten älteren Quellen - als Gründungsjahr 1987 angegeben; in dem Artikel über die Kampfmönch-Truppehttp://www.shaolin.org.cn/templates/EN_T_new_list/index.aspx?nodeid=413 ) das Jahr 1979. 


Foto *(1) "The gang": copyright Chris Bastian, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Chris Bastian
Foto *(2) copyright Songshan Shaolinsi, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Meister Yan Kai
Alle übrigen Fotos (aufgenommen am 03.10.2008 im Songshan Shaolin-Tempel): copyright yss


Die Inhalte dieses Artikels wurde von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.
29.7.2010 - yss
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 Letzte Änderung: 17.05.2012 - yss

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