Die Ordinationsversammlung im Shaolin-Kloster 2010
Teil 1: Übermittlung der Novizenregeln
 
少林三坛大戒 法会 的 过程   *  沙弥戒


Die Durchführung von Ordinationsversammlungen ist für einen buddhistischen Tempel von herausragender Bedeutung. Durch sie zählt er zu dem Kreis von Verantwortungsträgern, der die korrekte Weitergabe der buddhistischen Lehre an die nächste Generation und somit den Fortbestand des Buddhismus garantieren soll. 
2010 fand im Shaolin-Tempel vom 23. April bis zum 21. Mai die zweite „Dharma-Versammlung zur Weitergabe der großen Regeln der drei Plattformen“ (传授三坛大戒法会 chuanshou santandajie fahui) der Neuzeit statt, in deren Verlauf 455 Mönche ordiniert wurden. Der chronologische Ablauf dieser Ordinationsversammlung soll im Folgenden – ausgehend von den vom Tempel veröffentlichten Fotografien – näher veranschaulicht werden, in der Hoffnung, damit einen kleinen Einblick in dieses außerordentlich komplexe buddhistische Ritual zu geben.
Die Ordinationsversammlung ist in drei Ebenen resp. Abschnitte unterteilt: auf der Anfangsplattform werden die Novizenregeln weitergegeben, auf der zweiten Plattform die Mönchsregeln, auf der dritten Plattform die Bodhisattvaregeln. 




Vorbereitung – Eröffnung – Die Weitergabe der Novizenregeln


Zuerst erfolgt die offizielle Bekanntgabe der Ordinationsversammlung durch den Shaolin-Tempel. In ihr werden neben dem exakten Zeitraum der Ordination auch der Vorsitzende der Ordinationszeremonie und die für die Teilnahme erforderlichen Bedingungen genannt. Das zur Bewerbung um die Ordination benötigte Antragsformular kann von der Homepage des Tempels heruntergeladen werden.
Die Bewerber für eine Ordination müssen innerhalb eines festgelegten Zeitraums (hier zwischen dem 10. und dem 19. April) persönlich in der Gästehalle des Klosters zum Vorstellungsgespräch erscheinen. Sie haben ein mit den erforderlichen Daten vollständig ausgefülltes Antragsformular, die von ihrem jeweiligen Kreiskrankenhaus ausgestellte Bescheinigung einer medizinischen Untersuchung und einen von ihrer Einwohnermeldebehörde ausgestellten Nachweis über ihren Familienstand vorzulegen. Zusätzlich wird ihr Gesundheitszustand nochmals vor Ort überprüft. Dann findet das Vorstellungsgespräch mit einem Rezitationstest statt. Hat der Bewerber all dies erfolgreich durchstanden, wird er zur Ordination zugelassen.
Es folgen nun einige Tage der Vorbereitung, bevor am 23. April die Ordinationsversammlung  offiziell beginnt.

21. April  



Die Ordinanden erscheinen zur Anmeldung in der Gästehalle. Als die zukünftige Mönchsgeneration, die dadurch dass sie ihr Leben den Mönchsregeln unterwirft, diese Regeln praktisch verkörpert und mit ihrem Leben erneuert, werden sie "die neuen Söhne der Regeln" (新戒子, 新戒们) oder auch in Kurzform „die neuen Regeln“ (新戒) genannt. Zur Aufnahmeprozedur gehört auch eine kurze medizinische Untersuchung, die in der Medizinhalle des Tempels vorgenommen wird.

 
In der Trainingshalle werden den Ordinanden die drei Mönchsgewänder (三衣  san yi) ausgehändigt. Die Mönchsrobe zählt, wie die Almosenschale, zu den sieben Besitztümer eines buddhistischen Mönchs und wird auch Kesa oder Kaṣāya (袈裟 jiasha) genannt. Die drei Mönchsroben lassen sich den drei Abschnitten der Ordination zuordnen: das fünfteilige Gewand (五條衣 wu tiao yi) entspricht dem Erhalt der Novizenregeln, das siebenteilige Gewand (七條衣 qi tiao yi) der Annahme der Mönchsregeln und das neunteilige Gewand (九條衣  jiu tiao yi) dem Ablegen der Bodhisattva-Gelübde. Für viele der jungen Ordinanden hat die Entgegennahme dieser drei Mönchsgewänder einen hohen symbolischen Wert. Manchen kommen aus Ergriffenheit darüber, dass diese Gewandungen nun die ihren sind, Tränen in die Augen. Wie in anderen Bereichen des menschlichen Lebens ist die äußerliche Erfahrbarkeit der bedeutenden „inneren“ Entscheidung von nicht zu unterschätzender Wirkung, da sie eine wichtige Hilfe sein kann, sich dieser Entscheidung bewusst zu sein.



22. April

Nach und nach treffen die aus ganz China anreisenden Mönchsaspiranten ein. Vor dem offiziellen Beginn der Ordinationsversammlung sind die vorbereitenden Arbeiten in vollem Gang. Die Ordinanden unterziehen sich dem komplexen Verfahren der Registrierung und der Einteilung in Klassen (编班  bian ban). Eingeführt und beaufsichtigt werden sie dabei von dem als Anleiter bzw. Tutor fungierenden "Meister der Ordinationshalle" (开堂师 kaitang shi), dem Aufsichtsführer/Proktor (纠察师父 jiucha shifu) und seinen Gehilfen sowie den Zeremonienmeistern  (引礼师父 yinli shifu). "Kaitang shi" ist in diesem Jahr Dharma-Meister Longzhong (隆中法师) aus dem Xiantong-Tempel (显通寺) im Wutaishan (五台山), einem der fünf  heiligen Berge des Buddhismus in China. Sein "Großvater-Meister" (师爷 shiye)  ist ein alter Mönch des Shaolin-Klosters.




23. April / 1. Tag
 


















Der erste offizielle Tag der Ordinationsversammlung. Am Morgen erfolgt vor der Dharmahalle die rituelle Einladung der Zeremonienmeister und des Proktors  durch Shi Yongxin, den Abt des Shaolin-Tempels. Er bittet sie um die Aufnahme ihrer Tätigkeit bei der Ordinationsversammlung und überreicht jedem von ihnen ein Weihrauch-Brett (香扳 xiangban). Dieses schwertförmige Brett symbolisiert die Befugnis zur Machtausübung im Rahmen des verliehenen Amtes, wie z.B. einen Mönch oder einen Novizen, der gegen eine Regel verstoßen hat, mit Schlägen zu bestrafen.
 
Am frühen Nachmittag wird das Ordinationsgelände, das ist der mittlere Bereich des Tempels mit den großen Hallen, in einer feierlichen Zeremonie gereinigt. Die Ordinanden umkreisen das Terrain unter Führung von Shi Yongxin, wobei sie andächtig das „Dharani des großen Mitgefühls“ (大悲咒 da bei zhou) und die „Lobpreisung des reinen Wassers“ (杨枝净水赞 yang zhi jing shui zàn) rezitieren. 
 

 





 


  




24. April  /  2. Tag

Am Vormittag erklärt der "kaitang shi", Dharma-Meister Longzhong, die Geschichte und die Handhabung der Almosenschalen, die Regeln des Bettelns und die Regeln für das gemeinschaftliche Essen in der Halle. Die Ordinanden erfahren so z.B., dass der Shakyamuni-Buddha selbst anwies, dass ein Mann, der weder Almosenschalen noch die drei Gewandungen besitzt, nicht ordiniert werden darf, oder praktische Regeln wie, dass die oberen zwei Drittel der Außenwand der Schale als „rein“ gelten, das untere Drittel hingegen als „unrein“ zu handhaben ist, u.v.m.
Die Einnahme der täglichen zwei vegetarischen Mahlzeiten – morgens und mittags – in der Speisehalle wird als Übung der buddhistischen Praxis angesehen und spielt im Leben der Mönchsgemeinschaft eine wichtige Rolle. Die angehenden Mönche lernen in diesem Zusammenhang auch die sich auf das Essen beziehenden fünf Kontemplationen (五 观  wu guan).



Im weiteren Verlauf des Tages werden die Ordinanden vom "kaitang shi" und anderen Meistern einer Prüfung unterzogen, mit der sichergestellt werden soll, dass sie die Vorschriften des Vinaya auswendig gelernt haben (过毘尼 guo pini).
Am Abend  findet sich die Ordinanden zum gemeinsamen Verehren der Buddhas und Bereuen (礼佛 懴悔  lifo chanhui) zusammen.



25. April  /  3. Tag



Im Verlauf des Vormittags erlernen die Ordinanden das fachgerechte Entfalten, Anlegen und Zusammenfalten der Mönchsgewänder.

Anschließend werden sie in den „Vier würdevollen Körperhaltungen“ (四威仪/四威儀  si wei yi) unterwiesen, die man auch als die „vier respekteinflößenden Haltungen im Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen“ bezeichnet. Dabei lernen sie das Aufrechterhalten eines würdevollen, korrekten Benehmens während man sich in einer der vier Körperstellungen befindet: wie der Wind zu laufen (行如風), wie ein Pinie gerade zu stehen (立如松), wie ein Glocke zu sitzen (坐如鐘) und wie ein Bogen zu schlafen (臥如弓). Im Gehen soll man wie der Wind sein: man sollte nicht ständig um sich schauen oder den Körper hin- und herschlingern lassen, sondern sich mit erhobenem Kinn und aufrechtem Körper wie der Wind geschmeidig und zielstrebig vorwärts bewegen. Im Stehen soll man keine gekrümmte, „lässige“ Körperhaltung einnehmen, sondern gerade und aufrecht stehen wie eine Pinie.  Sitzen soll man nicht mit übereinander geschlagenen oder wackelnden Beinen oder mit krummem Rücken, sondern stabil und solide wie eine Glocke, mit gerade und entspannt vom Stuhl herabhängenden Beinen. Zum Schlafen soll man den Kopf auf den rechten  Arm lagern und sich wie der Bogen eines Schützen hinlegen, diese Haltung wird als förderlich für einen guten Schlaf angesehen. Um schlechte oder sinnliche Träume zu vermeiden, soll man nicht auf dem Rücken oder auf dem Bauch schlafen.
Diese vier Körperhaltungen zählen zu den essentiellen Tätigkeiten des Lebens, die ein jeder Mensch jeden Tag ausführt, ihre Regelung prägt somit das gesamte zukünftige Leben der Ordinanden.

Am Nachmittag empfängt Shi Yongxin als Gastgeber der Versammlung den Ältesten Chuanyin (传印长老 chuanyin zhanglao), der in der Ordinationsversammlung die Rolle des  Präzeptors (得戒和尚 dejie heshang) übernimmt, und den Ältesten Shaoyun (绍云长老 shaoyun zhanglao), der als Katechist (教授阿闍黎 jiaoshou asheli) fungiert

Die Kapriolen des Wetters an diesem Tag werden von vielen als glücksverheißend angesehen. Bei der Ankunft von Shi Chuanyin am Haupttor des Tempels und während Shi Yongxin mit der Mönchsschar ihn durch das Tempelgelände geleitet, regnet es - wie zur Reinigung des Ordinationsgeländes. Als jedoch wenig später die beiden Ältesten, Chuanyin und Shaoyun, vor der Tausend-Buddha-Halle die Mönche und Besucher des Tempels begrüßen, hat der Regen schon aufgehört, und der Himmel hat sich aufgeklart.  


Der Älteste Chuanyin ist seit Februar 2010 Präsident der Buddhistischen Vereinigung Chinas. Er erhielt 1955 seine Ordination unter dem Chan-Meister Xuyun (虚云老和尚) und war später als sein Diener für die Aufzeichnung seiner Reden und Ansprachen zuständig. Der Chan-Meister Xuyun war eine der bedeutendsten  Persönlichkeiten des chinesischen Buddhismus im 20. Jahrhundert, er genießt bis heute nicht nur unter den Buddhisten Chinas, sondern weltweit ein hohes Maß an Verehrung.
Der Älteste Shaoyun ist sowohl Abt des in der Provinz Anhui gelegenen Tempels des Zweiten Patriarchen als auch Vorsteher der Meditationshalle des Shaolin-Tempels. 



26. April   / 4. Tag
An diesem Tag bitten die Ordinanden die „Zwei Lehrer“, in diesem Fall den Präzeptor und den Katechisten, um die Einführung in die Regeln. Im Verlauf der Ordinationsversammlung werden die zur Durchführung der Ordination benötigten Lehrer mehrere Male von den Ordinanden um ihre Hilfe, Unterstützung, Belehrung und um die Vermittlung der Regeln gebeten,-  und stets ist dies ein hoch ritualisierter Akt. In ihm spiegelt sich zum einen ein großer Respekt vor den Lehrern als Wissensvermittler, doch darüber hinaus auch ihre Verehrung als Verkörperung der buddhistischen Weisheit und als lebende Beispiele der Vervollkommnung. In besonderem Maß betrifft dies natürlich die „Drei Lehrer“ (Präzeptor, Katechist und Karmacarya), die, zusammen mit den „Sieben Zeugen“ den Vorsitz der Ordinationsversammlung bilden. Sie sind diejenigen, die den Ordinanden die Weitergabe der jeweiligen Regeln gewähren und für jede der drei Arten von Regeln ehrerbietigst darum gebeten werden müssen. Dementsprechend ist die hierzu verwendete Sprache: „Mönche, habt Mitleid, gewährt mir, dem Jünger, das erwünschte reine Objekt, die Regeln!“
 Es folgt die Überprüfung des Gebrauchs der Mönchsgewänder und Almosenschalen sowie am Abend das Erlernen von Rezitationen und Gesängen. 

27. April   /  5. Tag

Am Morgen versammeln sich die zukünftigen Mönche zum Bekenntnis und zur Buße ihrer Vergehen und Sünden (露罪忏悔 luzui chanhui). 
 

Zu Mittag gibt es ein von dem wohlhabenden Laienbuddhisten Yang Xun (杨勋) gespendetes vegetarisches Festessen. Nachdem der Präzeptor Chuanyin eine Ansprache gehalten hat, betet er für den Weltfrieden, die Prosperität und die Macht Chinas wie auch für die Gesundheit und Freude des Volkes. Er bittet auch um den Segen für die Erdbebenopfer in Yushu (in der Provinz Qinghai) und wünscht dem Shaolin-Kloster und den drei Schätzen (Buddha, seine Lehre, seine Mönchsgemeinschaft) Wohlergehen.
Den Ordinanden erteilt er am Nachmittag eine Unterweisung.

Am Abend vollziehen die Mönche eine Zeremonie für die Hungergeister (普利十方焰口 puli shifang yankou) und für die Bewahrung der Menschen vor den drei ungünstigen Wiedergeburten (in der Hölle, als Hungergeist, als Tier).


28. April / 6. Tag

Im Verlauf des Vormittags findet eine Zeremonie zur „Wiederherstellung der Reinheit“ statt.
Am Nachmittag heißen der Älteste Chuanyin und die Mönchsgemeinschaft den dritten der „Drei Lehrer“, den  „Karmacarya“ (羯磨阿闍黎 jiémó ashéli), willkommen und bitten ihn um seine Unterstützung. Die Funktion des Karmacarya entspricht jener des Beichtvaters in der katholischen Kirche. Sie wird in dieser Ordinationsversammlung von dem Ältesten Jingliang (净良长老 jingliang zhanglao) erfüllt, dem Direktor der „Taiwan-China Buddhist Association“ (台湾中国佛教会  taiwan zhongguo fojiaohui). Er hält in der Tausend-Buddha-Halle eine Ansprache.
 








Anschließend unterziehen sich die Ordinanden einer Kopfrasur und einem rituellen Reinigungsbad. Am Abend beginnt eine Nachtmesse, die bis zum frühen Morgen dauert.






29. April / 7. Tag






Spätmorgens um 8 Uhr  treten die in Reihen gegliederten  Klassen der Ordinanden vor der Tausend-Buddha-Halle an und begrüßen ehrerbietig die „Drei Lehrer“ mit dem Klang ihrer Sutrenrezitation. Die „Drei Lehrer“ sitzen, umgeben von einer Ehrenformation, im Innern der Halle. Wie es dem buddhistischen Brauchtum entspricht, übergeben sie nun den Ordinanden die Novizenregeln. Danach versammeln sich alle vor der Residenz des Abtes, und die „Drei Lehrer" ermutigen die Ordinanden, die gerade die 10 Regeln erhalten haben, während der verbleibenden Ordinationszeit couragiert vorwärts zu streben und konzentriert zu lernen. Die niederknienden Ordinanden hören respektvoll zu.



30. April / 8. Tag 
   

   
Der achte Tag der Dharma-Versammlung dient der Erklärung und Erläuterung der Regeln und Gebräuche, denen die Novizen unterliegen, zuerst durch den Ältesten Shaoyun und im weiteren Verlauf durch den Dharma-Meister Haiben (海本法师 haiben fashi). Am Abend findet eine Buß-Zeremonie statt.



1. Mai / 9. Tag

Den gesamten Tag hindurch wird die Erläuterung der Novizenregeln durch den Dharma-Meister Haiben fortgesetzt. Der Abend wird nochmals mit Beichte und Buße beendet. Dies ist der letzte Tag jenes Abschnitts der Ordinationsversammlung, der sich mit der Weitergabe der Novizenregeln befaßt.




 

Mit dem kommenden Tag beginnt für die Ordinanden die direkte Vorbereitung auf den Erhalt der Mönchsregeln. Eine Erläuterung dieses Abschnitts der Ordinationsversammlung ist unter folgendem Link zu finden: Die Ordiantionsversammlung im Shaolin-Kloster Teil 2 - Übermittlung der Mönchsregeln



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Alle Fotos: copyright by Songshan Shaolin-Tempel , Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Yankai fashi. 
Die Inhalte dieses Artikels folgen größtenteils den entsprechenden Erläuterungen der Homepage des Shaolin-Klosters, sie wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder.
27.7.2011 - © copyright: yss 
Letzte Änderung: 20.6.2013
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