Der Vorplatz des Shaolin-Tempels
少林寺正面的广场

Vor den drei großen, nach Süden gerichteten Eingangstoren des Shaolin-Klosters liegt ein weitläufiger öffentlicher Platz, der oft schon frühmorgens von verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen zur Ausübung von Qigong oder Kungfu aufgesucht wird. Über den Vorplatz verteilt stehen hohe Zedernbäume, die den Eindruck eines kleinen Wäldchens vor dem Tempel schaffen sollen. Ein Foto  vor dem Haupttor des Tempels in der Mitte des Platzes zählt für die meisten Touristen zum Pflichtprogramm. Auf der Westseite des Platzes sind zur offiziellen Öffnungszeit des Tempels Verkaufsstände in Betrieb, die touristischen Service anbieten: Souvenirartikel, Bücher, VCDs, Kalligrafien, chin. Malerei. Die Herren an diesen Ständen sind KEINE Mönche des Shaolin-Klosters und stehen in keiner Verbindung zu ihm, sie kleiden sich nur „im monastischen Stil“.
Im mittleren Bereich des Platzes befinden sich zwei steinerne Löwenskulpturen aus der Qing-Dynastie (清代石狮子), die das Haupttor flankieren. Sie haben eine Größe von 1,67 Metern und stehen auf verzierten Steinsockeln von 1,75 Metern Höhe. Der Löwe kommt in der Natur Chinas nicht vor und war dort vor der Zeitwende unbekannt. Der Legende nach kam der erste Löwe als Geschenk nach China:  Kaiser Zhang Di der östlichen Han-Dynastie (76-88) soll ihn vom König des Staates Anxi (im Gebiet des heutigen Iran) erhalten haben. Zur weiteren Verbreitung der Kenntnis von Löwen trug auch der Einzug des Buddhismus in China bei, da der Löwe ein Symbol des Shakjamuni-Buddhas selbst wie auch seiner Herrschaft und königlichen Herkunft ist.  Im Laufe der Zeit stellte man  in China Wächterlöwen nicht nur vor den Eingängen buddhistischer Tempel und vor Palästen, sondern auch vor Regierungsgebäuden, Friedhöfen, Hotels, Restaurants, Privathäusern, Gärten u.v.m. auf. Die Anzahl der Locken der Löwenskulptur erlaubte in früherer Zeit Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen Status ihres Errichters. Wieviele also mögen wohl die Löwen vor dem Shaolin-Kloster haben, wenn damals hochrangigen Beamten 13 Locken zugestanden wurden?

Paifang *(1)
Im Osten und Westen des Vorplatzes stehen  zwei große, steinerne Ehrentore, "Paifang" (石牌坊) genannt. Das "Paifang" zählt zu den architektonischen Besonderheiten Chinas. Es wurde als Eingangstor zu größeren Gebäudekomplexen (Tempel, Paläste, Grabanlagen), als Denkmal für historische Ereignisse oder einfach als Symbol für eine Straße oder ein Dorf errichtet. Im Laufe der Zeit entwickelte es sich jedoch auch zu einem typischen Ehrensymbol der feudalen chinesischen Gesellschaft, das ihre moralischen Werte festigen und stärken sollte. Als Zeugnis herausragender Tugenden und Verdienste wurde es z.B. für Absolventen der kaiserlichen Prüfungen oder besonders verdienstvolle Beamte errichtet. Es gab sogar Ehrentore für Frauen, die  außergewöhnliche Tugendhaftigkeit und Wohltätigkeit bewiesen hatten, sie bedurften jedoch  der ausdrücklichen Genehmingung des Kaisers. Die Herkunft der "Paifang" reicht weit in die Geschichte Chinas zurück. Es wird vermutet, daß sie ursprünglich von den sogenannten "Torana" der indischen Tempelarchitektur stammen. Eine Ähnlichkeit z.B. mit den prachtvollen Ehrentoren der Stupa von Sanchi aus frühbuddhistischer Zeit (35 v.Chr.) ist augenfällig. Besonders häufig wurden Ehrentore in der Ming- und Qing-Dynastie errichtet, allein in Bejing und in Huizhou (Provinz Anhui) sind aus dieser Zeit jeweils über 100 Exemplare erhalten.
Die beiden Ehrentore vor dem Shaolin-Kloster sind einander zugewandt und jeweils im rechten Winkel zur Frontseite des Tempels ausgerichtet; sie bilden die seitliche Abgrenzung des Eingangsbereichs. Das Tor im Osten stammt aus dem Jahr 1544, dem 23. Jahr des Ming Jiajing und trägt verschiedene Inschriften, unter anderem die vier Zeichen: „Zu Yuan Di Ben“ (祖源諦本) von Zhongsong Shanzi sowie die Inschriften „Phönixpaar und die aufgehende Sonne“   (双凤朝阳), „Löwenpaar und Seidenball“  (双狮绣球)   „Auf der Erde und im Himmel die Nummer eins unter den über alle vier Ozeane hinweg berühmten Bergen“ (地在天中, 海名山为第一) und „Übermittlung durch das Herz, jenseits von Worten,- die weltweite Lehre ist der Begründer“  (心传言外,十方法教是租元).  Das westliche Tor wurde 1555, im 34. Jahr des Ming Jiajing erbaut. Es trägt die Inschriften „Von Batuo gegründet“ ( 跋陀开创), „Zur Meditation die Wand  anblicken, in stiller Nacht bringt der Wind den Ton einer Flöte“  ( 面壁高峰,静夜风闻了晋笙), „ Junger Chan-Wald in den Song-Bergen„ ( 嵩少禅林), „Ein Paar von Jade-Brunnen reflektiert tausendfach das Mondlicht des Herbstes“ (双双玉井 碧澄冷浸千 秋月) u.a.

Die südliche Begrenzung des Platzes bildet der Shaoxi-Fluß (少溪河), über den die 1846 erbaute Shaoyang-Brücke (少阳桥) führt. Die beiden Brücken, die in früheren Zeiten an dieser Stelle den Shaoxi-Fluß überquerten, wurden in regenreichen Zeiten von den Wassern des Flusses zerstört. Die jetzige Brücke ist eine schlichte, doch schöne Steinkonstruktion von 5,55 m Höhe, 37,75 m Länge und 5,73 m Breite, die in der warmen Jahreszeit stets mit Blumen geschmückt wird. 



*~~~*


02. Das Haupttor des Shaolin-Tempels  
      少林寺山门



Das Haupttor des Shaolin-Tempels (in direkter Übersetzung: “Shaolin-Tempel Bergtor”) besteht aus dem auf einer wuchtigen Steinterasse errichteten zentralen Torgebäude und zwei separaten, kleinen Seiteneingängen. Zentrum des Torgebäudes ist die große, zweiflügelige Eingangstür, zu der eine breite Treppe hochführt. Zu Seiten der massiven Holztür sind in die Vorderwand zwei kreisrunde Fenster eingelassen, gleichermaßen ein harmonischer Ausgleich zu den übrigen eckigen Formen und ein markanter Blickfänger. Das Dach des Gebäudes ist eine Walmdach-Konstruktion mit den typischen geschwungenen, überkragenden Dachsparren, partiell grün-glasierten Ziegelreihen sowie sorgfältig modellierten Keramikfiguren auf dem Dachfirst und in den unteren Bereichen der Dachgrate.
Das Haupttor wurde 1735 im letzen Regierungsjahr des Mandschu-Kaisers Yongzheng (雍 正) der Qing-Dynastie erbaut.  Über dem Eingang ist eine Tafel angebracht, mit dem berühmten Schriftzug      
 („Shaolin Tempel“) des Kaisers Kangxi (康熙), dem Vorgänger Yongzhengs.Die Kalligraphie ist in goldenen Lettern auf schwarzem Grund ausgeführt; das private Siegel des Kaisers („康熙御书之宝“) steht oberhalb des mittleren Zeichens. Kaiser Kangxi lebte von 1654 bis 1722. Im Jahr 1704 schenkte er dem Shaolin-Tempel zwei Tafeln mit von ihm selbst ausgeführten Inschriften: die oben beschriebene Tafel mit dem Namenszug des Tempels, die zuerst an der Außenseite der Halle der Himmelskönige hing und nach dem Bau des Haupttores an ihrem jetzigen Platz über dem Eingang angebracht wurde. Die zweite  Tafel mit der Inschrift „Kostbare Bäume und wohlriechender Lotus“ („宝树芳莲“),  hing in der Mahavira-Halle,  sie wurde jedoch in den Kriegswirren der späten Qing-Dynastie zerstört.

Innerhalb des Tores befindet sich im vorderen Bereich eine vergoldete Statue des sitzenden Maitreya-Buddhas ( 彌勒佛) in seiner Erscheinung als sogenannter „Dickbauch-Buddha“ („ 大肚佛„) , die Freundlichkeit, Glück und Wohlergehen repräsentieren soll. Im Volksmund wird er auch „Mönch mit dem Sack“ („布袋和尚“) genannt. Um in den zum ersten Tempelhof hin offenen, hinteren Abschnitt des Torgebäudes zu gelangen, muß man eine sogenannte „Geisterwand“ umgehen und eine Sperre durchqueren, an der ein Eintrittsgeld zu entrichten ist (von dem der Shaolin-Tempel nur einen geringen Anteil erhält).
 Im hinteren Bereich des Raumes steht eine reich verzierte Vitrine mit der Statue des Bodhisattva Skanda (韦驮菩薩), einer von der hinduistischen Götterwelt übernommenen buddhistischen Schutzgottheit. Die Gestalt des Skanda ist eingebunden in eine Art „militärischen Bereich“ der buddhistischen Mythologie. Dort finden sich 4 Himmelskönige mit jeweils 8 Armeen, die von 8 Generälen befehligt werden (weiteres siehe „Halle der Himmelskönige“). Skanda ist einer der 8 Generäle des Himmelskönigs Virūḍhaka, der für den Schutz des südlichen Viertels des Universums zuständig ist, und zugleich Oberbefehlshaber aller Generäle der 4 Himmelskönige.
Der buddhistischen Legende nach war Skanda  ein Anhänger des Shakjamuni Buddha und Sohn eines Königs, der ebenfalls  vom Glauben an die Lehre des Buddha erfüllt war. Beim Eingang des Buddhas ins Nirvana soll er von Buddha selbst den Auftrag erhalten haben, das Dharma (die Lehre) zu beschützen, und kurz nach der Verbrennung der leiblichen Hülle des Buddhas soll er die Reliquien davor beschützt haben, von Dämonen geraubt zu werden.  Zu Skandas Aufgaben zählt ebenfalls, die Klostergemeinschaft vor äußeren Bedrohungen und inneren Konflikten zu bewahren. Der Auftrag, das Dharma zu schützen, beinhaltet zudem den Schutz der buddhistischen Schriften und Kultgegenstände wie auch der Disziplin. So findet sich die Darstellung des Bodhisattva Skanda nicht nur im Eingangsbereich der Tempel und Klöster, sondern auch in buddhistischen Sutren, Traktaten u.a.
Die Bedeutung des Skanda als Schutzgottheit zeigt sich auch in den buddhistischen Zeremonien: jeden Tag wird am Ende der Morgenzeremonie von der Mönchsgemeinschaft das "Weituo zan" (韦驮赞) rezitiert, eine Lobpreisung des Bodhisattvas und seiner Tugenden.

 Es gibt keine gesicherten Angaben darüber, wie Skanda in den chinesischen Pantheon gelangte. Dort erfuhr er jedenfalls als „Weituo“ eine eigene Legendenbildung, die in den schönen Geschichten von Miao-Shan ihren Niederschlag fand. Eine dieser Geschichten in Kürze: Weituo, ein General am Hofe eines grausamen Königs verliebt sich in dessen Tochter Miao-Shan, die jedoch eine Reinkarnation des Bodhisattva Guanyin ist. Angesichts ihrer Reinheit erkennt er, dass er kein gleichwertiger, geschweige denn superiorer Partner für sie werden kann. Trotz der Aussichtslosigkeit seiner Liebe bleibt er bei ihr, um sie zu verehren und zu beschützen. Er verhilft ihr zur Flucht und zum Aufbau eines eigenen Reiches, doch der König findet sie und läßt beide töten. Durch seine bedingungslose Hingabe an den Bodhisattva Guanyin wird der General Weituo selbst zum Bodhisattva und schwört, Guanyin für immer zu dienen und zu beschützen.

Als General ist Weituo stets in eine prachtvolle Rüstung gekleidet und mit einer Streitkeule bewehrt. Seine Haltung ist variabel, sie reicht von expressiven, kämpferischen Posen, die den Gebrauch der Streitkeule erkennen lassen, bis zur relativ strengen frontalen Darstellung, in der zuweilen die Streitkeule als Stütze dient.  Manche Darstellungen zeigen Weituo mit zum Buddhagruss vor der Brust aneinandergelegten Handflächen, während die Steitkeule horizontal auf seinen Armen liegt, eine Pose, die sich auch am Ende einer Stockform der Shaolin-Kampfkunst wiederfindet.

Alte Statue des Weituo, vor 1928 *(2)
                                            

Leider ist die originale Weituo-Statue des Shaolin-Tempels nicht erhalten, doch gibt es noch ein Foto von ihr, an dem sich noch gut erkennen läßt, wie kraftvoll, martialisch und ausdrucksstark sie war (siehe oben).  Die heutige Statue scheint eher auf den feinfühligen Weituo der Miao-Shan-Legende zu verweisen (siehe unten). 
Heutige Statue des Weituo

Ab und zu erhält der General frühmorgens Besuch von 2 Hunden,- vielleicht überbringen sie Nachrichten aus der Guanyin-Halle ….?

















*~~~*



Abbildungen:
*(1) "paifang":  © Copyright by Shi Yankai  all rights reserved; Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Shi Yankai
*(2) "Alte Statue des Weituo (vor 1928)": © Copyright by shaolin.cn.com all rights reserved (Veröffentlichung hier mit freundlicher Genehmigung von Shi Yanlong)
Alle übrigen Abbildungen  © copyright yss

18.02.2010 - yss
Urheberrechtlich geschützt