Hundeleben im Shaolin-Tempel


Wie es einem Hund mit schlechtem Karma in China ergehen kann, konnte man noch 2008 direkt gegenüber dem Shaolin-Tempel in der Siedlung Wangzhigou erleben: dort gab es am Ortseingang einen Hundefleischhändler, der auf der Freifläche vor seinem Laden in einem Käfig seine „Ware“ ausstellte. 
3 Hunde und 1 Käfig

















 
 Erfreulicherweise gab es ihn dort im darauffolgenden Jahr nicht mehr,- ob er nur seinen Geschäftssitz oder gar seinen Beruf gewechselt hatte, wer weiß…? Heute ist an diesem ehemaligen Ort des Leidens ein Schnellimbiß mit vielen Fliegen zuhause, und ein Kramladen, der in seiner Kühltruhe neben Grüne-Erbsen-Eis auch ein für chinesische Verhältnisse aussergewöhnlich leckeres Milcheis birgt.

Wesentlich glücklicher als jene Hunde von Wangzhigou sind die des Shaolin-Tempels!!! Sie können sich größtenteils frei und ungezwungen bewegen. Es gibt vor allem zwei Arten: die „Hätschelhunde“ und die „Charakterköter“. Jedem Hund sein Karma. Zu den "Hätschelhunden" gehören zum Beispiel das „Püppchen“ aus der Medizinhalle und der als Prestigeobjekt nicht ganz so freie Chowchow (松狮犬 "Löwenhund"), der meist an der Leine spazierengeführt wird. Letzterer hat ein kuschelweiches Fell, macht einen gut genährten und gepflegten Eindruck, wird seeehr oft gekämmt und noch öfter gestreichelt, was seine Intelligenz nicht zu fördern scheint.

"Püppchen"

"Löwenhund"
 
Zu den "Charakterkötern" zählen die beiden Dingos und die beiden "Promi"-Hunde (Promenadenmischungshunde), der kleine schwarze „Teufel“ in der Medizin-Halle u.a. Sie streunen oft frei im Tempel herum, meist frühmorgens oder abends, und lassen sich nur bedingt auf ein Abhängigkeitsverhältnis zu Mönch und Mensch ein.
"Dingo-Hund"

"Promi-Hunde"


Einen von den „Charakterkötern“ fand ich besonders interessant …
 
... den "Vegetarischen Shaolin-Kampfhund"


Von seinen Farben her erinnerte er mich an den Dackel meiner Kindheit. Er war jedoch hochbeinig, schlank und flink wie eine Gazelle, geschmeidig wie ein Wiesel, und er sprühte nur so vor Energie. Stur wie Bodhidharma konnte er auch sein. Der Gesichtsausdruck war meist pragmatisch-indifferent, doch die Augen funkelten lebhaft. Seine großen Leidenschaften: Schuhe-Kauen, Waden-Beißen, Hände-Nagen, Mäntel-Rupfen und Rennen -- alles je länger, desto lieber. Nur sehr selten und eher unwillig oder versehentlich ließ er sich streicheln oder kraulen, ohne die kraulende Hand mit spitzen Zähnen zu ergreifen und wie einen frischen Kaugummi zu bearbeiten.





Zu Beginn der Morgenzeremonie in der Haupthalle des Tempels begnügte er sich meist mit kleinen Probebissen in die Schuhe der Anwesenden oder damit, kurz mal mit einer Pfote die eine oder die andere Wade anzukratzen. Spätestens am Anfang der Rezitation des Surangama-Mantras überließ er - vielleicht aus Mitgefühl - die Teilnehmer dem Fluss der Töne und ihre Waden den Mücken. 
Ab und zu trafen wir uns im Lauf der Tage zu kurzem Partnertraining im Tempel oder zu relaxten Abendspaziergängen vor dessen Toren.
 
Da er nahezu kachektisch war - kauen allein macht nicht satt - lud ich ihn zum Essen ein, natürlich nach Wangzhigou, zur „Mama“. Sie kramte einen schon zubereiteten Hühnerschenkel vor, an dem doppelt so viel Fleisch war wie an den Schenkeln des Hundes. Der freute sich und futterte das Hühnerbein mit Haut, Haar und Knochen innerhalb weniger Minuten unter den teils amüsierten, teils leicht neidischen Blicken der im Freien sitzenden Gäste. 
Später fand ich im Tempel den Mönch, auf den er aufpasste. Dieser hatte ihm das dünne Band mit Buddha-Perle um den Hals gehängt, wohl um potentiellen Hundehändlern zu zeigen, dass dieser Hund gute Beziehungen hat und nicht frei zum Abschlachten ist. Der Mönch ermahnte mich, dass der Hund eigentlich von vegetarischer Küche lebe. Ich war hin- und her gerissen zwischen „Kein Wunder, dass er so dünn ist, dauernd etwas zum Beißen will und kahle Flecken im Fell hat“ und „Hab’ ich jetzt sein gutes Karma vermasselt?“
 
Nun, der Hund nahm es mir nicht übel und biss weiter freundschaftlich, doch nicht ohne Nachdruck in meine Schuhe, Füße, Knöchel, Waden, Arme, Hände, Haare. Einmal warm gekämpft, war er kaum noch zu halten. Trat ich die Flucht an, so stürzte er sich oft zum Entsetzen der Mönche auf die vorbeiziehenden Touristen … 




 Am Abend vor meiner Abreise begleitete er mich wieder ein Stück in Richtung Wangzhigou und wir suchten ein letztes Mal den kleinen Trainingsplatz - rechts den Hang hoch - auf, der nun leer war, da alle menschlichen Kämpfer an ihren Futternäpfen saßen. Wir trainierten noch ein bißchen „Ellbogen beißen“ und „Beine wegschlagen“. Er galoppierte über den trockenen Lehmboden, als wäre es das Schönste auf der Welt, voll Begeisterung herumzurennen, und um noch schneller zu sein, ging er vom Hin- und Herrennen zum im-Kreis-Sprinten über. Ich wartete wieder fassungslos und umsonst auf ein Anzeichen von Erschöpfung seinerseits.
Als der ganze Platz in eine Staubwolke gehüllt war, stahl ich mich davon ….
 
 


Zurück im fernen Westen hoffe ich, dass auch andere Besucher des Shaolin-Tempels sich nicht von seinen tierischen Bewohnern gestört fühlen, sondern sich an und mit ihnen erfreuen können.
Das Mitgefühl mit allen Lebewesen dieser Erde ist ein im Buddhismus hoch geschätztes Ideal und findet einen besonderen Ausdruck in dem alljährlichen Ritual der Freilassung von Tieren  (放生 fangsheng). Diese werden jedoch oft eigens dafür eingefangen und an gläubige Buddhisten verkauft, um von ihnen dann in eine Freiheit entlassen zu werden, die nicht selten einen verfrühten Tod oder erneute Gefangennahme bedeutet. Es gibt jedoch zunehmend Neuinterpretationen dieses oft in der Sinnlosigkeit erstarrten Rituals durch junge buddhistische Tierschützer. Zu diesen zählen Protestaktionen gegen Tierquälerei, Informationskampagnen, Rettungsaktionen und Freikäufe auf dem berüchtigten alljährlich im Juni stattfindenden Hundemassaker in Yulin u.v.m.

Die Mönche - und auch alle anderen Menschen-, die sich eines einfachen Hundes "von der Strasse" annehmen, um ihm ein Leben in Sicherheit und Freiheit zu ermöglichen, zeigen meines Erachtens nach mit ihrem Handeln mehr Mitgefühl und bewirken mehr Gutes, als durch das klassische buddhistische Fangsheng-Ritual. Um  zu verdeutlichen, wovor sie ihre Hundefreunde möglicherweise bewahrt haben, sei hier noch ein Video vorgestellt, das jedoch einige Bilder enthält, deren Betrachtung Kindern und anderen empfindsamen Menschen nicht zu empfehlen ist: Hundeleben (nicht nur) in China.
 
Ich hoffe, mein kleiner, wilder Freund wird immer beschützt sein und ein schönes Leben haben.
 

 


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*Foto "Der Löwenhund": copyright by Hugo Kämpf; Veröffentlichung mit seiner freundlichen Genehmigung
Übrige Fotos & Text: copyright yss
07.09.2011 - yss
Letzte Änderung: 21.09.2011
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