Das Essen im Shaolin-Kloster (4)


Die heute im Shaolin-Kloster gepflegte Essenstradition blickt auf eine Geschichte zurück, die die des Klosters selbst zeitlich bei weitem übersteigt. Sie ist den aktuellen Erfordernissen und gleichzeitig den buddhistischen Regeln und Traditionen verpflichtet. Um diesen Teil der Shaolin-Kultur als ebensolchen zu erkennen und in seinen Eigenheiten zu verstehen, ist es erforderlich, sich auch mit seinen „Wurzeln“ zu beschäftigen. Aufgrund des dadurch bedingten Umfangs des Themas ist der Artikel in fünf Teile gegliedert:

1. Das Essen im Buddhismus     --> link
2. Die klösterliche Essenstradition im han-chinesischen Buddhismus    --> link
3. Geschichte - Geschichten - Legenden zur Essenstradition des Shaolin-Tempels    --> link
4. Die Küche im Shaolin-Tempel - Shi Xingci -  Ernährung der Shaolin-Mönche - Shaolin-Rezepte 
5. Guotang - Die gemeinsamen Mahlzeiten der Mönche    --> link



4. Die Küche im Shaolin-Tempel - Shi Xingci - Ernährung der Shaolin-Mönche - Shaolin-Rezepte



Wir haben nicht viele Ersparnisse auf der Bank, doch es gibt reichlich Korn in der Scheune, genug für zwei Jahre. Wenn es also zu einem Unglück in der Gesellschaft kommt, kann der Shaolin-Tempel zwei Jahre oder so durchhalten.“ („We don’t have much savings in the bank but there is a lot of grain stored in the barn, enough for two years, so if there is a disaster in society, the Shaolin Temple could hold out for two years or so.”).  
Dies sagte Shi Yongxin (释永信), der Abt des Shaolin-Tempels, 2011 in einem Interview mit der “Financial Times”, das im Rahmen der Serie “Abendessen mit der FT” im Songshan Shaolin-Tempel stattfand (1). Shi Yongxin hatte durch seinen Meister Shi Xingzheng und andere alte Mönche noch viel über Hunger und materielle Not im Shaolin-Tempels erfahren und nach der Wiedereröffnung des Tempels die Schwierigkeiten eines Neuanfangs persönlich erlebt. So verwundert es nicht, dass nach seiner Übernahme der Führung des Tempels die Sicherung der materiellen Basis eines der vorrangigen Ziele war. 
Die Ernährung der Shaolin-Mönche scheint also vorerst relativ gesichert, und es ist nur klug von Shi Yongxin, dass er nicht sagt, wo die Scheune mit dem Korn steht. 

Als Mindestausgabe für die Ernährung der Klosterangehörigen wird heute im Shaolin-Tempel pro Kopf  7 Yuan täglich veranschlagt (Stand Februar 2012). Hinzu kommen Sach- und Geldspenden an das Kloster, die in China den Platz der direkten Spende von Speisen an die Mönche eingenommen haben.

Von diesem Budget werden täglich drei Mahlzeiten bestritten. Es gibt zwei offizielle Mahlzeiten, „Frühstück“ um 6:30 Uhr und das Mittagsmahl um 11:30 Uhr, sowie eine informelle Mahlzeit am Abend gegen 17:30 Uhr, die „Medizin“ (药石 yaoshi = wörtlich: Kräutermedizin und Stein) genannt wird. Den Mönchen und Novizen ist es offiziell nicht gestattet, in ihren Zimmern oder in den Gemeinschaftshöfen ein Essen zu kochen. Außerhalb des Klosters dürfen sie sowohl Restaurants besuchen als auch Esswaren kaufen und verzehren. 

Shi Xing Ci (释行慈) - Shaolin dianzuo
Die Leitung der Sektion Küche untersteht dem Chefkoch  (典座 dianzuo), er ist verantwortlich für alle Mahlzeiten der Klostergemeinschaft. In der Chan-Tradition genießt dieses Amt ein besonderes Ansehen und ist schon in den frühen klösterlichen Regelwerken beschrieben,- es wird als Sinnbild eines höchst spirituellen Lebens inmitten einer alltäglichen, profanen Tätigkeit angesehen. 
Der Chefkoch soll dem „Dao“ () folgen, dies beinhaltet stete Flexibilität, unvoreingenommene Beurteilung und höchste Effizienz. Er variiert das Menü den Gegebenheiten entsprechend, mit dem Ziel, die Gemeinschaft zu ihrer Zufriedenheit mit dem Nötigen zu versorgen. Die Beschaffung der dazu erforderlichen Materialien koordiniert er mit den diesbezüglich relevanten anderen Amtsinhabern des Klosterns, wie dem Prior und dem Lagerverwalter. Desweiteren stellt er sicher, dass die Mahlzeiten natürlich, sorgfältig zubereitet und hygienisch einwandfrei sind, wobei der jedoch keine Verschwendung zulassen soll. In der Küche sorgt er für Ordnung und für die Reparatur oder den Ersatz beschädigter Töpfe, Geräte, Utensilien etc. Er schult das Küchenpersonal, überwacht dessen Arbeit und setzt die Arbeitskräfte entsprechend ihrem Können und ihrer Neigungen ein. Dem Personal gegenüber soll er nicht zu streng und nicht zu nachgiebig sein, damit ein reibungsloser, harmonischer Ablauf der Arbeiten erfolgt. Nach der Zubereitung der Mahlzeiten soll er in Richtung der Mönchshalle Räucherwerk opfern und Verbeugungen durchführen, erst dann soll das Essen zu den Mönchen gebracht werden.

Seit nahezu einem Jahrzehnt wird das Amt des Chefkochs von Shi Xingci (释行慈) bekleidet, der 1982 als Schüler von Shi Dechan (释德禅) in den Shaolin-Tempel eintrat und 1985 im Daxingshan-Tempel (大兴 善寺) in Xi’an die Mönchsweihe erhielt. Zuerst führte er viele Jahre lang die Aufsicht über wechselnde Hallen des Tempels, pflegte und unterrichtete dabei den aus der Familientradition übernommenen Bagua-Faustkampf (八卦拳 bagua quan) in Kombination mit der Shaolin-Kampfkunst. 2003 wurde er mit dem Amt des Chefkochs betraut. Neben Planung und Leitung der Küchenaktivitäten, besorgt er persönlich den Einkauf der Lebensmittel, wofür er meist schon frühmorgens um vier Uhr oder etwas später um acht  Uhr nach Dengfeng fährt. Sein organisatorisches Können kommt besonders bei Großereignissen wie den Ordinationsversammlungen und an hohen buddhistischen Festtagen zur Geltung.

Das sieben Mann starke Küchenteam besteht überwiegend aus vom Tempel angestellten Laienbuddhisten, die in der Nähe des Klosters leben. Bei Bedarf, z.B. an besonderen buddhistischen Festtagen, wird es aufgestockt, wofür auch Mönche und Novizen eingesetzt werden. Innerhalb des Küchenteams sind die Aufgaben aufgeteilt, so gibt es einen Gemüsechef (菜头 / 菜頭 caitou), einen Reischef (饭头 / 飯頭 fantou), Wasserchef (水头 / 水頭 shuitou), Feuerchef (火头 / 火頭 huotou) etc. , diese Aufteilung entspricht den alten klösterlichen Regelwerken wie den „Reinen Regeln der Chanklöster“ (禅院清规 chanyuan qinggui) von 1103. Die einzelnen Chefs haben die Aufgabe, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Materialien zur Schaffung der bestmöglichen Mahlzeit beizutragen. Erhalten sie nur wenig Material, so sollen sie nicht klagen, sondern das Gegebene effektiv einsetzen. Im Idealfall ist ihre Arbeit reine chan-buddhistische Praxis, und es gibt keinen Unterschied mehr zwischen der  Zubereitung der Mahlzeiten, dem Ausüben von Kungfu, dem Trinken von Tee ...  

 



Die Kücheneinrichtung ist sehr schlicht. Es gibt relativ wenige Küchengeräte, manche von ihnen sind von antiquarischem Reiz, doch erfüllen sie nach wie vor problemlos ihre Funktion. Viele Arbeiten, die in einer modernen Küche von Maschinen ausgeführt werden, erledigt man hier noch manuell: das Küchenfeuer wird von Hand geschürt, das Gemüse wird von Hand geputzt und geschnitten, der Teig wird von Hand geknetet, geformt, in den Ofen geschoben, aus dem Ofen herausgeholt, zur Kühlung ausgebreitet etc.. Dementsprechend ist die Zubereitung der Mahlzeiten recht arbeitsintensiv, doch das gut aufeinander eingespielte Küchenteam erledigt die Arbeiten ruhig, konzentriert und schnell. 

 
 


























Während in der Küche emsig geknetet, geschnippelt, gekocht und gebacken wird, sorgt auf der anderen Seite der Küchenmauer der Feuerchef für die nötige Glut im Ofen, der noch mit Kohle beheizt wird. Ein besonderer kleiner ökologischer Kreislauf wird erkennbar: Holzstöcke, die zuvor von den Kampfmönchen des Tempels bei der Vorführung von "Hartem Qigong" zerkleinert wurden, dienen nun als Brennholz für das Küchenfeuer. Nicht lange später werden die Kampfmönche mit den auf diesem Küchenfeuer gekochten Speisen die "Qi-Öfen" in ihren Bäuchen anheizen. 
Der Feuerchef hat im Shaolin-Tempel eine spezielle Bedeutung, ist seine Tätigkeit doch eng mit der Legende des "König Kimnara" (紧那罗王jinnaluo wang), dem Schutzheiligen des Tempels, verbunden. Ihr zufolge beschützte ein einfacher Küchenhelfer mit seinem Schürstock den Tempel vor der Einnahme durch die Armee der "Roten Turbane" und entpuppte sich später als König Kimnara. Auf diese Legende verweisen die Namen mehrerer alter Shaolin-Stockformen, wie Shaohuo-gun (燒火棍) und Jinnaluo-gun (紧那罗). 




 



 



 











 


















Die Arbeit in der Küche beginnt um drei Uhr morgens, da schon zur Morgenmahlzeit, wie zu den übrigen Mahlzeiten, stets warme Gerichte gereicht werden. Die Gerichte werden jeden Tag frisch zubereitet, sie bestehen hauptsächlich aus Gemüse, Tofu, Dampfbrot, Nudeln und Suppe in verschiedenen Variationen und Kombinationen.
Die stets wechselnde Auswahl an Gemüse beinhaltet mehrere Sorten von Kohl, Bohnen und Pilzen, desweiteren Karotten, Auberginen, Gurken u.v.m. Tofu wird in diversen Konsistenzen (von weich bis bissfest) und Geschmacksrichtungen (von fad bis scharf) angeboten. Anstelle von Brot gibt es Backwaren in Form von „Mantou“ (馒头 = Dampfbrötchen), „Baozi“ (包子 = Dampfbrötchen mit verschiedenen Füllungen) oder „Youtiao“ (油条 = längliches Ölgebäck), letztere sind besonders beliebt. Hier müssen unbedingt auch die „Baozi“ von Shi Yongmei, der gestrengen Äbtissin des dem Shaolin-Tempel zugehörigen „(Nonnen-)Tempels des ersten Patriarchen“ (初祖庵 chuzu an) Erwähnung finden, die, gleich ob mit süßer oder mit herzhafter Füllung, wahre Delikatessen sind!
 Der Flüssigkeitsbedarf der Mönche wird während der Mahlzeiten mit Suppe und Wasser abgedeckt. Wasser wird abgekocht (开水 kaishui) und vorzugsweise in lauwarmer Temperatur getrunken. Suppe, in der chinesischen Kultur weitaus beliebter als im Westen, wird sowohl zu den zwei Mahlzeiten gereicht wie auch als „Medizin“ am Abend eingenommen. Sie ist von mal dickerer, mal dünnerer Konsistenz und wird von den Mönchen „zhou“ () genannt.  Sie kann aus Reis (大米 dami), Hirse (小米 xiaomi) oder anderen Getreidearten angefertigt sein, manchmal werden auch Mungbohnen (绿豆 lüdou)  verwendet.   Mitunter gibt es auch  „Laba-Zhou“ (腊八粥), ein spezieller, sehr nahrhafter Brei oder Schleim aus verschiedenen Sorten von Getreide, Hülsenfrüchten und Samen, der jedoch insbesondere am „Geburtstag des Buddha“ (nach chin. Kalender am 8.Tag des 12. Monats) für die Allgemeinheit gekocht und öffentlich verteilt wird.  
Seit einiger Zeit wird von der Küche zusätzlich täglich Kuhmilch (牛奶 niunai) angeboten, um für die Ernährung der Mönche neben pflanzlichen Eiweißquellen wie Soja auch tierisches Eiweiß zur Verfügung zu stellen.  

Die Speisen sollen, der Nirvana-Sutra entsprechend, über die "drei Tugenden und sechs Geschmacksrichtungen" (三德六味 san de liu wei) verfügen: sie sollen weich, sauber und korrekt zubereitet sein, und sie sollen den Geschmacksempfindungen "süß", "sauer", "salzig", "bitter", "würzig" und "mild" entsprechen. 
Um eine Vorstellung davon zu geben, wie denn nun eine Mahlzeit der Shaolin-Mönche aussieht, sei hier das "Abendbuffet" vom 13. Mai 2011 vorgestellt, das aus Tofu (Bildfolge unten; links oben), Paprika mit Karotten (rechts oben), grünen Bohnen mit Karotten und Tofu (links unten), einem Gurken-Tomatensalat (rechts unten) und einem heißen Nudelgericht (ganz unten Mitte) bestand. 









 Einen Tag später trugen Shi Xing Ci und die Köche einige "Alltags-Rezepte aus der Shaolin-Küche", mal mehr, mal minder vollständig zusammen, die von Shi Yan Kai  aufgezeichnet wurden. Die ersten drei Shaolin-Rezepte  zählen lediglich die Zutaten auf, aufgrund der Schlichtheit der Speisen ist die Art ihrer Zubereitung leicht zu erraten.


Shaolin-Köche, ein Novize, Shi Xing Ci und Shi Yan Kai

Sautierte Stangenbohnen
炒豆角

 
Stangenbohnen  豆角
Ingwer   
„Pulver der 13 süßriechenden Bitterstoffe“   十三香
Sternanis   大茴香
Sichuanpfeffer   花椒
Kardamon   豆蔻  
Tsaoko-Frucht   草果  

 
Kalt angemachte Lotuswurzeln   
凉拌莲菜
 

Lotuswurzeln 
莲菜   
weißer Zucker   白糖 
Ingwer  
weißer Essig  白醋 
scharfer getrockneter Paprika   干辣椒
ein bißchen Salz   一点盐


Kurz gebratene Auberginen
烧茄子


zuerst schälen  先削去皮
danach in Öl braten   然后  油炸
dann folgende Gewürze beigeben:   再加入调料:
Ingwer   
„Pulver der 13 süßriechenden Bitterstoffe“  十三香
Sternanis 大茴香  
Salz  
 
Shaolin-Koch, Shi Xing Ci, Shi Yan Kai

Maladoufu
麻辣豆腐
  

Den Tofu in kleine Stücke schneiden, in einen Topf mit kochendem Wasser geben und 20 Minuten lang kochen, dann aus dem Wasser herausfischen und in kaltes Wasser geben, dann wieder herausholen und erstmal zur Seite stellen. Zunächst in heißes Öl  Bohnen-Paste,  fein geschnittenen Ingwer sowie Salz und verschiedene Gewürze geben. Danach den Tofu hinzufügen, mit einer kleinen Menge Wasser. Ein paar Minuten später in Wasser aufgelöstes Qianfen (Speisestärke aus Seerosensamen) dazugeben. Dann kann man es aus dem Topf nehmen
豆腐切成小块以后     放到开水锅   煮20分钟   ,然后捞出    放入冷水中   ,然后捞出。备用   ,首先   在热油中  放入豆瓣酱     姜末     ,盐        和各种调料  。然后豆腐放入  ,加入少量的水。几分钟后    加入流水芡粉。即可出锅。


Shi Yan Kai notiert die Shaolin-Küchenrezepte

Silberohr-Suppe
银耳汤


Die Silberohr-Pilze in kleine Stücke schneiden. Lotussamen, Lilien, chin. rote Datteln, Longan-Früchte, Yamswurzel, Mandeln, Honig, Kandiszucker vorbereiten. Zuerst den Kandiszucker in Wasser auflösen, dazu dann die bearbeiteten Lotussamen, Lilien, chin. rote Datteln, Longans, Yams, Mandeln in den Topf geben und aufkochen lassen. Danach in etwas Wasser aufgelöstes Qianfen (Speisestärke aus Seerosensamen) hinzufügen, dann die Silberohr-Pilze und Honig.  Fertig.
银耳切成小块   ,准备   莲子   百合    红枣  桂圆   山药    杏仁      蜂蜜     冰糖   。首先 水中放入冰糖     然后放入莲子 百合   红枣  桂圆   山药   杏仁    加工后 放入锅中  ,水开后   加入流水芡粉    然后放入银耳    蜂蜜   即可。






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                                 Und wer macht den Abwasch ???

                                            







 Feierabend!


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(1)Zitat aus: "Lunch with the FT" - Shi Yongxin



Text und Fotos: copyright © 2012 yss  
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Shi Xingci und Shi Yankai.


Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. 
Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.
21.02.2012 - yss 
Letzte Änderung: 12.03.2012

Die Almosenschale der Shaolin-Mönche


"Wandelnder Buddha mit Bettelschale"
Eine Legende in  den frühen indischen Texten des Buddhismus erzählt, wie der Buddha die Almosenschale (skr.: pātra, chin.: 钵 / 缽) erhielt: 

Nach sieben Wochen des Fastens und der Mediation, in deren Verlauf der Buddha die Erleuchtung erlangt hatte, kamen zwei Kaufleute zu ihm, um ihm Reisbrei und Honigkugeln zu spenden. Der Buddha dachte sich, dass ein „Vollendeter“ nichts mit den Händen entgegen nehmen sollte. Durch ihre übersinnliche Intuition vernahmen die vier „Himmelswächter“ diesen Gedanken, eilten aus den vier Himmelrichtungen herbei, und jeder von ihnen bot dem Buddha eine mangofarbene, steinerne Schale an. (Verschiedenen Texten zufolge offerierten sie ihm erst goldene bzw. smaragdene Schalen, die er jedoch ablehnte, da sie im Widerspruch zum Ideal der Askese standen.) Der Buddha wollte keinen der Himmelskönige bevorzugen. Er nahm er alle vier steinernen Schalen an, stellte sie ineinander, und sie verschmolzen auf wunderbare Weise zu einer Schale, deren oberer Rand aussah wie die Ränder von vier ineinander platzierten Schalen. Mit dieser Schale nahm er den Reisbrei und die Honigkugeln entgegen, die beiden Kaufleute wurde seine ersten Laienanhänger.


Neben Gewandung, Haaren und Zähnen war die Almosenschale eine der Hauptreliquien, die der Buddha hinterließ, und als solche hoch verehrt und begehrt.  Der chinesische Mönch Faxian (法显),  der 399 bis 412 den indischen Kontinent bereiste, schreibt in seinem „Bericht über die buddhistischen Länder“ (佛囯记/佛國記) über die Legende und den Kult um die Almosenschale, die er in der Stadt Purushapura (heute: Peshawar, Pakistan) vorfand:

„Buddhas Almosenschale befindet sich in diesem Land. Einst stellte der König der Yuezhi eine große Truppe Soldaten zusammen und fiel in das Land ein, um sich die Schale des Buddha zu holen. Als das Land unterworfen war, wollten der König der Yuezhi und  seine Leute, da sie aufrichtig an die Lehre des Buddha glaubten, die Schale an sich nehmen und näherten sich ihr, mit der Absicht, Opfergaben darzubringen. Nachdem sie den „Drei Schätzen“ geopfert hatten, ließ er einen großen Elefanten festlich schmücken und die Schale auf ihm befestigen. Doch der Elefant kniete auf dem Boden, es war ihm nicht möglich, vorwärts zu kommen. Dann ließ er einen vierrädrigen Wagen herrichten, in dem die Schale fortgebracht werden sollte. Acht Elefanten wurden dem Wagen vorgespannt, doch auch sie waren nicht fähig, sich fort zu bewegen. Der König wusste, dass seine (karmischen) Vorausetzungen noch nicht für (den Besitz der) Schale reichten, und war tief beschämt und betrübt. Daraufhin ließ er eine Stupa und ein Kloster errichten, zum Schutz eine Wache aufstellen und vielerlei Opfer darbringen.

Es mag dort mehr als 700 Mönche geben. Gegen Mittag holen sie die Schale heraus und bringen, zusammen mit den „Weißgewandeten“
(dem einfachen Volk) und anderen, allerlei Opfer dar. Dann gibt es das Mittagessen. Am Abend, zur Zeit der Rauchopfer, wird die Schale noch einmal verehrt. Ihr Fassungsvermögen beträgt etwa zwanzig Liter. Sie weist verschiedene Farben auf, vorrangig Schwarz. Deutlich sichtbar ist ihr vierfach unterteilter Rand, die Dicke beträgt ungefähr zwei Fen (~ 60 mm). Sie hat einen intensiv leuchtenden Glanz.“

《 ...佛钵即在此国。昔月氏王大兴兵众,来伐此国,欲取佛钵。既伏此国已,月氏王等笃信佛法,欲持钵去,故兴供养。供养三宝毕,乃校餝大象,置钵其上,象便伏地不能得前。更作四轮车载钵,八象共牵,复不能进。王知与钵缘未至,深自愧叹。即于此处起塔及僧伽蓝,并留镇守,种种供养。可有七百余僧,日将中,众僧则出钵,与白衣等种种供养,然后中食。至暮烧香时复尔。可容二斗许。杂色而黑多,四际分明,厚可二分,甚光泽 ...。》
   (Gaoseng Faxian zhuan, Kapitel 12 / 高僧法显传, 十二章)


Es wird vermutet, dass es sich bei dem „König der Yuezhi“ um Kanishka (迦膩色伽王), den Herrscher des Kushāna-Reiches, handelt. Ob dieser Legende des versuchten Raubes der Almosenschale des Buddha ein reeller Versuch, sich die Reliquie anzueignen, zugrunde liegt, ist jedoch bis heute nicht historisch belegt. Im weiteren Verlauf seiner Reise begegnete Faxian noch weiteren Legenden um die Schale des Buddha. So hörte er einen Mönch in Ceylon einen Text über die Almosenschale des Buddha rezitieren, in dem die Schale mit dem Maitreya-Kult in Verbindung gebracht wird und als Symbol sowohl der Buddhaschaft als auch des gesamten Buddhismus deren Erscheinen und Verschwinden in der Welt markiert.
Mehr als 200 Jahre nach Faxian berichtet der berühmte chinesische Mönch Xuanzang (玄奘, 602 - 664) von seiner Indien-Reise, dass die besagte Schale des Buddha von Purushapura aus über verschiedene andere Reiche nach Persien gelangt sei. 

"Verehrung der Almosenschale des Buddha" (2)

 Die Almosenschale der Mönche erhält in der Literatur des Chan-Buddhismus eine besondere symbolische Bedeutung. Dort wird oft die Weitergabe von Almosenschale und Gewand eines Meisters/Abtes auf den von ihm ausgewählten Nachfolger als Zeichen der Übertragung des Dharma, bzw. der Essenz seiner Lehre, und der Amtsnachfolge beschrieben. Das wohl berühmteste Beispiel dafür ist in der Geschichte des Huineng  (慧能, 638–713) zu finden, der als sechster Patriarch der Chan-Schule verehrt wird.  Der "Platform-Sutra des sechsten Patriarchen" (六祖坛经) zufolge wird dem illiteraten Küchenhelfer Huineng bei einem geheimen Treffen mit dem fünften Patriarchen Hongren (弘忍, 601–674) sowohl die Lehre der „plötzlichen Erleuchtung“ als auch die Almosenschale und Robe Hongrens übertragen. Huineng erhält die Anweisung, letztere nicht mehr an einen Nachfolger weiterzugeben, da zuviel Streit daraus entstünde und sein Leben in Gefahr sei.

(3)
Viele Geschichten und Legenden ranken sich um Huinengs Schale und Robe. Als nach seiner Flucht aus dem Kloster Verfolger ihm Schale und Robe rauben wollen, gelingt es ihnen nicht, diese fortbewegen (offensichtlich eine Übernahme der Legende von Buddhas Almosenschale und dem König der Yuezhi). Huineng lässt sich im Baolin-Tempel (寶林寺) in Caoxi (漕溪), dem heutigen Nanhua-Tempel (南华寺), nieder. Der Legende zufolge fehlt ihm dort Wasser zum Waschen von Schale und Robe. Er stößt mit seinem Stock auf die Erde und ihr entspringt eine Quelle, mit der heute ein in Stein gefaßter Quellbrunnen  im hinteren Abschnitt des Klosters in Verbindung gebracht wird. Ebenfalls in Caoxi fängt Huineng mit seiner Almosenschale einen Drachen, nachdem er diesen überredet hat, ein kleineres Format einzunehmen. Auf diese Legende, die auf eine alte Volkssage zurückgeführt wird, verweist eine Stupa aus Eisen, die den Namen „Stupa der Zähmung des Drachens“ (降龙塔) trägt.



1983 wurde nahe der chinesischen Stadt Luoyang die Grabkammer des Mönchs Shenhui (神會, 684 - 758) entdeckt,- der Tradition zufolge war dieser der bedeutendste Schüler Huinengs. Die Kammer wurde im Jahr 765 versiegelt und bildet das Herzstück einer einstmals für Shenhui errichteten Pagode, die zum heute nicht mehr existenten Baoying-Kloster (寳應寺) gehörte. Eine der Steinplatten der Grabkammer war mit einer Inschrift versehen, die Shenhui als „Siebten Patriarchen“ bezeichnete, und unter den Grabbeigaben befand sich eine lackierte Almosenschale. Dies warf die Frage auf, ob Shenhui die Almosenschale vielleicht von Huineng erhalten habe … 
Offiziell endet die Liste der chinesischen Chan-Patriarchen und damit die Weitergabe von Almosenschale und Gewand mit Huineng. Zudem steht der historische Nachweis der Weitergabe von Schale und Gewandung bislang aus, d.h. es gibt bisher keinen Beweis dafür, dass sie unter den Mönchen, die heute als die sechs Patriarchen der Chan-Schule verehrt werden, tatsächlich mit der ihr zugewiesen Bedeutung (der Weitergabe des Dharma) erfolgte. Unübersehbar ist jedoch ihre Instrumentalisierung von verschiedenen Vertretern der Chan-Schule zu religionspolitischen Zwecken.

(4)


Seit der Lebenszeit des Buddha zählt die Almosenschale neben dem dreiteiligen Gewand zur  „Grundausstattung“ eines buddhistischen Mönchs, beides ist für die Almosengänge und damit für die Erhaltung der Lebensgrundlage der Mönche erforderlich. Außer zum Sammeln der Almosenspeise kann die Schale auch als Transportgefäß genutzt werden, wenn sich die Mönche auf Wanderschaft begeben. Buddhagosas „Sumangala Vilasini“ zufolge kann sie auch zum Schöpfen von Wasser für ein Bad oder das Reinigen der Mönchzelle genutzt werden und dient somit alternativ  „dem Körper und dem Bauch“.


Ihre ursprüngliche Funktion erfüllt sie seither im Theravada-Buddhismus, wo auch heute noch die täglichen Almosengänge durchgeführt werden. In China hat sie einen geringeren praktischen Nutzen, da dort der Brauch der Almosengänge zum Erliegen kam. Wegen ihres starken Symbolgehalts ist sie jedoch auch in China weiterhin von Bedeutung und wird noch oft zur Einnahme der Mahlzeiten verwendet. Von den Mönche des Shaolin-Tempel wird sie eher selten zur Einnahme der Mahlzeiten verwendet, mitunter wird sie - unorthodox, doch durchaus sinnvoll - anderweitig genutzt:

(5)


Bis heute erhält jeder buddhistische Novize zu seiner Mönchsweihe eine Almosenschale zusammen mit dem dreiteiligen Gewand (siehe: Santandajie 1). Noch vor der Übertragung der Mönchsregeln wird er in ihren Gebrauch und die sie betreffenden Regeln eingewiesen. Diese sind zahlreich, denn minuziös festgelegt sind Herstellung der Schale, ihre Handhabung beim Essen, ihr Säubern, ihre Aufbewahrung und ihr Transport bis hin zu ihrer  Reparatur und Entsorgung.

Die Almosenschale hat die Form einer kugeligen Schüssel und soll fünf Bedingungen entsprechen:  
  1. Den Regeln des Vinaya (Cv.V.8.2) zufolge muss sie aus dem geeigneten Material bestehen, entweder aus Ton (瓦鉢 wǎbō) oder aus Eisen (鐵鉢 tiěbō),- zur Zeit des Buddhas wurden vornehmlich Tongefäße benutzt. Zudem soll die Schale nicht aus Holz hergestellt werden, nicht aus den kostbaren Materialien Gold, Silber, Perlmutter, Beryl, Bronze, Kristall, Glas, und nicht aus giftigen Materialien wie Kupfer, Blei, Zinn (Cv.V.9.1). Der Buddha verbot zudem die Nutzung einer menschlichen Schädelkalotte als Almosenschale, wegen der abstoßenden, schockierenden Wirkung auf die Almosen spendenden Menschen. 
  2. Die Schale muss gebrannt sein, eine aus Ton zweimal, damit sie ausreichend gehärtet ist, eine aus Eisen fünfmal, damit sie vor Rost geschützt ist. 
  3. Sie muss die richtige Größe haben. Heute wird als Richtwert angesehen, daß sie nicht kleiner als ein menschlicher Schädel sein soll und nicht größer als 22,5 cm im Durchmesser, was einem Fassungsvermögen von 1 bis 2 Litern entspricht. 
  4. Sie muss vollständig bezahlt sein. 
  5. Sie darf nicht irreparabel beschädigt sein.

Der Mönch darf nur eine Almosenschale besitzen, in Ausnahmefällen darf zusätzlich eine zweite bis zur maximalen Dauer von 10 Tagen benutzt werden, dann ist sie wieder abzugeben. Ursache für die Beschränkung war dem Dharmaguptaka-Vinaya zufolge, dass  Außenstehende über Mönche, die eine große Anzahl an Schalen von Spendern erhalten hatten, spotteten, ihre Wohnstätte sehe aus wie ein Geschäft für Töpferwaren.

Die Schale soll vorsichtig und sorgfältig behandeln werden, um ihre Beschädigung zu vermeiden. Der Mönch soll sie mindestens fünfmal repariert haben, bevor er sie entsorgen und eine neue benutzen darf. Er begeht jedoch kein Vergehen, wenn er vor der Unbrauchbarkeit seiner alten Schale eine neue von einem Familienmitglied erbittet oder von Leuten, die ihn einladen, sie um eine neue Schale zu bitten (!), desweiteren wenn er sich mit eigenen Mitteln eine neue Almosenschale erwirbt.
(6)


Manchen Mönchen, die wegen Krankheit oder Alter physisch geschwächt waren, fiel das lange Halten der Almosenschüssel schwer. Deshalb gestattete der Buddha die Benutzung einer Tasche zum Halten der Schüssel und bestimmte, dass die Tasche unterhalb der Achsel zu tragen sei. Diese Tasche wird in China „bonang“ (钵囊/ 缽囊) genannt, ihre als „luonang“ (络囊/絡囊) bezeichnete Variante wird mittels eines Gurts über die Schulter gehangen. Begibt sich ein Mönch auf Wanderschaft, so hängt er die Tasche über die rechte Schulter und plaziert sie mit der in ihr befindlichen Almosenschale unterhalb der linken Achselhöhle, wobei die Öffnung der Schale zum Körper des Mönchs hinweisen soll. Weiterhin gibt es eine kleine Tasche zum Aufbewahren eines Tuches, das für die Reinigung der Schale benutzt wird.

(7)


Die Almosenschale ist ein Gegenstand, den selbst noch jene buddhistischen Mönche besaßen, die sich einer rigorosen Askese unterwarfen. Nicht zuletzt deshalb zählt sie, wie die Gewandung, seit jeher zu den bevorzugten Spenden an die Mönche.  Mitunter wurden von wohlhabenden Gönnern unter Missachtung der buddhistischen Tradition auch wertvolle Schalen aus Gold, und Silber zu speziellen Ereignissen oder an aussergewöhnliche, hochrangige Mönche und monastische Würdenträger verschenkt. So soll Huineng von der Kaiserin Wu Zetian (武則天625-705) eine Almosenschale aus Kristall und ein aus Goldfäden gewebtes Prunkgewand erhalten haben, beide Gegenstände sind heute in der „Halle des sechsten Patriarchen“ im Nanhua-Tempel ausgestellt.

In besonderen Fällen lässt sich die Almosenschale als „moralische Waffe“ einsetzen, indem sie umgedreht wird. Der Buddha verfügte, daß die Almosenschale gegenüber einem Laien umdrehen werden darf, wenn dieser

- einem Mönch materiellen Verlust zufügen will,
- Schaden und Nachteil für einen Mönch anstrebt,
- den Ruf eines Mönches schädigen will,
- einem Mönch seine Wohnstätte nimmt,
- Zweitracht in der Sangha sät und deren Aufspaltung anstrebt,
- abwertend über den Buddha spricht,
- abwertend über die buddhistische Lehre spricht,
- abwertend über die Sangha (die Mönchsgemeinschaft) spricht
(Cv. V.20.3).

Was bedeutet dies? Die Almosenschale wird zur Waffe der Gewaltlosigkeit. Ihr Umdrehen  steht für die Weigerung der Annahme von Spenden. Mit diesem symbolischen Akt wird ausgedrückt, dass der Laienanhänger zu unwürdig ist, als dass ein Mönch von ihm etwas annehmen würde. Der Laienanhänger wird von der buddhistischen Gemeinschaft  ausgestoßen, ihm wird durch die Ablehnung seiner Spende die Möglichkeit genommen, karmische Verdienste zu erwerben und an der Symbiose von Mönchen und Laien teilzuhaben.

Der durch das Umdrehen der Almosenschale symbolisierte Boykott wird „Patam nikkujjana kamma“ genannt. Dass er heute durchaus kein sinnentleertes Relikt der Vergangenheit ist, hat sich in Burma bewiesen. Dort sind offziell mehr als 87% der Bevölkerung Buddhisten, die überwiegend der Theravada-Schule angehören. Die Verbundenheit von Mönchen und Laien ist aufgrund der täglichen Almosengänge sehr ausgeprägt und die Mönche genießen in der Bevölkerung ein hohes Ansehen. Da nach der gewaltsamen Niederschlagung der Massenproteste gegen die Regierungspolitik 1988 viele Mönche inhaftiert, getötet oder zwangssäkularisiert wurden, sprach 1990 die buddhistische Sangha das Umdrehen der Almosenschalen gegenüber der Militärregierung aus. Der Boykott beinhaltete unter anderem auch, dass Äbte und hohe Würdenträger die Teilnahme an religiösen Zeremonien verweigerten, zu denen Generäle und Politiker sie eingeladen hatten. In der „Safran-Revolution“ von 2007 wurde er aufgrund aktueller Ereignisse erneuert und bis 2012 nicht aufgehoben, da trotz einer Amnesie 2012 noch ca. 300 Mönche inhaftiert waren

"Die Almosenschale umdrehen" (8)

Die Anwendung des „Patam nikkujjana kamma“ in solch einem großen Rahmen ist eine Ausnahme und nur unter speziellen Umständen möglich. Ursprünglich wurde es vom Buddha gegenüber einer Einzelperson angewandt. 

Und der Shaolin-Tempel? Er pflegte auch während der damaligen Ereignisse in Burma - der Ermordung und Inhaftierung buddhistischer Mönche - stets freundliche Kontakte zu burmesischen Regierungsinstitutionen und den regierungkonformen buddhistischen Würdenträgern Burmas.

Ob wohl in der Geschichte des Shaolin-Tempels jemals die Almosenschalen gegenüber einem Spender umgedreht wurden?



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Foto (1): "Wandelnder Buddha mit Bettelschale", Takt-i-Bahi, 2.-3. Jh. © copyright Peshawar Museum,
Veröffentlichung mit freundlicher Zustimmung des Fotografen Herrn Peter Oszwald
Foto (2): "Kushans worshipping the Buddha's bowl", Gandhara, 2. Jh., © copyright  by Tokyo National Museum
Foto (3): aus dem Film  六祖慧能传 (http://www.tudou.com/programs/view/o-miw2jqMLk/) © ?
Foto (4,6 und 7): © copyright by Shi Yan Kai, Veröffentlichung mit seiner freundlichen Genehmigung
Foto (5):  © copyright by yss
Foto (8): © copyright by Law Eh Soe

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8.2.2012 - Text und Übersetzung © copyright by yss
Letzte Änderung: 8.5.2013
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Das Essen im Shaolin-Kloster (3)


Die heute im Shaolin-Kloster gepflegte Essenstradition blickt auf eine Geschichte zurück, die die des Klosters selbst zeitlich bei weitem übersteigt. Sie ist den aktuellen Erfordernissen und gleichzeitig den buddhistischen Regeln und Traditionen verpflichtet. Um diesen Teil der Shaolin-Kultur als ebensolchen zu erkennen und in seinen Eigenheiten zu verstehen, ist es erforderlich, sich auch mit seinen „Wurzeln“ zu beschäftigen. Aufgrund des dadurch bedingten Umfangs des Themas ist der Artikel in fünf Teile gegliedert:
 
1. Das Essen im Buddhismus    --> link
2. Die klösterliche Essenstradition im han-chinesischen Buddhismus   --> link
3. Geschichte - Geschichten - Legenden zur Essenstradition im Shaolin-Tempel
4. Die Küche des Shaolin-Tempels - Shi Xingci - Ernährung der Shaolin-Mönche - Shaolin-Rezepte
  --> link  

5. Guotang - Die gemeinsamen Mahlzeiten der Shaolin-Mönche  --> link
 
 


3. Geschichte – Geschichten - Legenden  zur Essenstradition im Shaolin-Tempel


„Vegetarisches Bankett für den Kaiser“


In den 80er Jahren besuchte der Schriftsteller Zhen Binghao (甄秉浩, 1931-1997) den Shaolin-Tempel mit dem Vorhaben, von den alten Mönchen etwas über das vegetarische Essen am Shaolin-Tempel zu erfahren. Er traf die Mönche Shi Xingzheng (释行政), Großmeister Dechan (德禅大师), Shi Suxi (释素喜), Shi Suyun (释素云) und Shi Wanheng (释万恒) und führte mit ihnen ein angeregtes, informationsreiches Gespräch. Dieses ist das Thema des Kapitels „Vegetarisches Bankett für den Kaiser“ (素餐宴皇帝 sùcān yàn huángdì) in  seinem 1986 erschienenen Buch „Überlieferungen aus dem Innern des Shaolin-Tempels“ (少林寺内传 shàolínsì nèi zhuàn).

Zhen Binghao beschreibt darin ausführlich, wie die Mönche ihm begeistert erzählten, welche Kaiser im Laufe der Geschichte den Shaolin-Tempel besuchten, was und wie sie dabei speisten. So zählte Shi Dechan dem Freund des Hauses mehr als 20 Kaiser auf, die den Tempel besuchten: von Kaiser Xiaowen Yuanhong der Nördlichen Wei-Dynastie (北魏孝文帝元宏 běiwèi xiàowén dì yuánhóng) über den Tang-Kaiser Taizong Li Shimin (唐太宗李世民  táng tàizōng li shìmín) und der Kaiserin Wu Zetian (唐天后武则天 táng tiānhòu wǔ zétiān), die Anfang und Ende des ersten Abschnitts der Tang-Dynastie markieren, bis hin zu dem Kaiser der Yuan-Dynastie, Kublai Khan, der in China den Namen „Yuan Shizu Hubilie“ (元世祖忽必烈  yuán shìzǔ hūbìliè) trägt, und in der Qing-Dynastie Gaozong Aixinjueluo Hongli (清高宗爱新觉罗 • 弘历  qīng gāozōng aixīnjuéluō • hónglì), im Westen eher als der Manchu-Kaiser Qiánlóng  (乾隆) bekannt. Diese Besuche sind historisch nachgewiesen, z.B. durch entsprechende Vermerke in den Annalen des Tempels, der Chronik der Stadt Dengfeng u.a.
Nach den weiteren Angaben des Großmeisters wohnten die Kaiser bei ihren Besuchen in der Abthalle, die deswegen auch „Drachenhof“ (龙庭 lóngtíng) genannt wird, und mußten sich wie jeder Gast des Tempels – unabhängig von Rang und Namen  – an die Regel, vegetarisch zu speisen, halten. 
Im weiteren Verlauf konzentriert sich das Gespräch auf drei der üppigsten Banketts in der Geschichte des Tempels. Der Auftakt wird mit Li Shimin, dem Tang Kaiser Taizong, gegeben. Der für die Geschichte des Shaolin-Tempels überaus bedeutsame Kaiser besuchte im Jahr 629 den Shaolin-Tempel, zu Ehren der 13 Shaolin-Mönche, die ihm in den Kämpfen vor seiner Machtübernahme behilflich waren. Insbesondere wollte er den Mönch Tanzong (昙宗) wiedertreffen. Der Tempel veranstaltete deshalb ein Bankett, das gemäß chinesischer Gepflogenheiten einen Namen erhielt, und da es für einen Kaiser ausgerichtet wurde, musste ein Drache in dem Namen vorkommen, es wurde „Bankett des eingerollten Drachen“ (蟠龙宴  pán lóng yàn) genannt. Ob jeder seiner 60 Gänge einen eigenen Namen hatte, wird nicht berichtet, jedoch der Hauptgang wurde„Der alte Drache rollt sich im Nest ein“ (老龙蟠窝  lǎo lóng pán wō) genannt. Nun ist das Vorhaben, einem Kaiser eine Gaumenfreude zu bereiten, sicherlich kein leichtes. Ob das von Zhen Binghao wiedergegebene Geschehen am Tisch historisch belegt, eine Legende oder reine Erfindung ist, sei dahingestellt,- doch scheint sich die Begeisterung des Kaisers über den Gang „Shaolin-Acht-Schätze-Kuchen“ (少林八宝酥 shàolín bā bǎo sū) nicht nur auf seine Equipage, sondern auch auf die Shaolin-Mönche und ihren Schriftsteller-Besucher im 20. Jahrhundert übertragen zu haben. Zhen Binghao schildert diese Szene so lebhaft, dass man sich noch heute über den kaiserlichen Genuß ganz erleichtert fühlt und sich sehr gut vorstellen kann, wie der kampferprobte Kaiser, hocherfreut über den unerwartet leckeren Kuchen, an der Tafel aus dem Stegreif dichtet: 
Noch immer leuchtet das Lagerfeuer von Luoyang in meiner Erinnerung. Heute wiederum erlebe ich den „Shaolin 8-Schätze-Kuchen“,  er ist wirklich von ganz seltenem, außergewöhnlichem Geschmack“.
"洛城烽火忆犹存,少林八酥今又闻,真‘稀世奇味’也!" (1)

Der „Acht-Schätze-Kuchen“ des Shaolin-Tempels  unterscheidet sich von den in China weithin bekannten „Acht-Schätze-Klößen“ (八宝粽bā bǎo zòng)  oder der „Acht-Schätze-Speise“ (八宝饭), die aus Klebreis, acht Früchten und Rote-Bohnenpaste (红豆沙 hóngdòu shā) hergestellt werden. Seine Grundlage ist nicht Reis, sondern eine Art Mürbeteig aus Honig, Zucker und Mehl, dem die „acht Schätze“ beigemengt werden. Die acht Schätze sind:


  • Glänzender Lackporling  (chin.: 灵芝  língzhī --- lat.:Ganoderma lucidum)
  • Affenkopf-Pilz  (chin.: 猴头菇  hóu tóu gu --- lat.: Hericium erinaceus)
  • Silberohr-Pilz (chin.: 银耳  yín'ěr --- lat.: Tremella fuciformis)
  • Ginkgo-Nüsse (chin.: 白果  báiguǒ --- lat.: Ginkgo biloba)
  • Chinesische Morchel/Judasohr-Pilz    (chin.: 木耳  mù'ěr ---  lat.: Auricularia auricula-judae)
  • Song-Pilz (chin.: 嵩菇  sōng gu --- lat.: ?)
  • Shiitake-Pilz  (chin.: 香菇  xiānggū --- lat.: Lentinula edodes)
  • Kokos-Pilz / Kiefernschwamm    (chin.: 茯苓 fúlíng --- lat.: Wolfiporia extensa (Peck) ginns, früher:  Poria cocos)


Eine Reminiszenz an diese Delikatesse ist das „Vegetarische Gebäck des Shaolin-Tempels“ (少林寺素饼 shàolínsì sù bǐng), das heute im Auftrag des Tempels hergestellt und verkauft wird. Er entspricht einem mürben Kleingebäck, wird in mehreren Geschmacksrichtungen (Erdnuss,Walnuss, Mandel, Sesam u.a.) produziert und ist nicht nur im Tempel und im Kreis Dengfeng in nahezu jedem Lebensmittelgeschäft erhältlich, sondern auch über unzählige Internet-Anbieter. Lecker? Ja! Doch die obengenannten „Schätze“ sollte man in ihm nicht erwarten.


Von nicht weniger köstlichen Gerichten erfährt Zhen Binghao, als die alten Mönche fortfahren, ihm zu erzählen, was sie von den Meistern der vorhergehenden Generation an Überlieferungen und Legenden zu den kaiserlichen Besuchen erfahren hatten.
Mehr als 40 Jahre nach dem Besuch des Tang-Kaisers Taizong besuchten der Kaiser Gaozong und seine Gemahlin Wu Zetian den Shaolin-Tempel, um für die leibliche Mutter der Kaiserin eine Pagode zu erbauen. Der nun über siebzig Jahre alte Mönch Tanzong ließ für sie ein noch größeres Bankett ausrichten, das „Drachen-und-Phönix-Bankett“ (龙凤宴 lóngfèng yàn) genannt wurde und mehr als 120 Gänge umfasste. Das Hauptgericht trug den Namen „Drachenflug und Phönixtanz“ (龙飞凤舞 lóngfēifèngwǔ).  Die Kaiserin favorisierte die „Wurzellose Suppe der zehntausend Blumen des Songshan“ (嵩山无根万花汤sōngshān wú gēn wàn huā tāng) dermaßen, dass der Kaiser die Anweisung traf, ihr Hofkoch habe die Zubereitung dieser Suppe zu erlernen.  Zu den wesentlichen Bestandteilen der Suppe zählt Honig,- als „Essenz der zehntausend Blumen“ Namensgeber der Suppe,- dazu Chrysanthemen, Geißblatt, Mandarinenschalen u.a. Wie den „Shaolin-Acht-Schätze-Kuchen“ wird auch der „Zehntausend-Blumen-Suppe“ eine besonders gesundheitsfördernde Wirkung nachgesagt. Sie soll den Geist erfrischen, Sehkraft stärken, den Appetit fördern, Müdigkeit vertreiben, die Milz stärken und die Lunge befeuchten. 
Das dritte Bankett, von dem die Shaolin-Mönche Zhen Binghao berichten, fand im 13. Jahrhundert statt. Der Gründer der Yuan-Dynastie, der Mongole Kublai Khan, war mit dem Abt des Shaolin-Tempels und buddhistischen Landesmeister (国师  guóshī), Xueting Fuyu (雪庭福裕大和尚  xuětíng fúyù dà héshàng) befreundet. Er stattete dem von ihm hoch verehrten Mönch in Begleitung von Vizekanzler, Staatssekretär und Generälen einen Besuch ab, nicht zuletzt, um sich von  ihm unterrichten zu lassen. Dem Kaiser zu Ehren wurde das Bankett „Fliegender Drache“ (飞龙宴 fēi lóng yàn) ausgerichtet, dessen Hauptgang  „Der Karpfen springt durch das Drachentor“ (鲤鱼跳龙门  lǐ yú tiào lóngmén) hieß. Von den 90 Gängen des Banketts schätzte Kaiser Kublai Khan am meisten das Gericht „Die acht Landschaften des Zentralgebirges“ (中岳八景  zhōngyuè bājǐng),- „Zhongyue“ ist ein alter Name für die Song-Berge (嵩山 sōngshān / 嵩岳 sōngyuè). Acht der Region des Songshan zugerechnete Landschaften bzw. Szenerien, von denen jede eine ganz eigene Besonderheit aufweist, werden dafür auf einem Teller nachgebildet:
  • „Das Song-Tor erwartet den Mond“ (嵩门待月)
  •  „Der Shaoshi-Berg im Schnee bei klarem Wetter“ (少室晴雪) (= der „Hausberg“ des Shaolin-Tempels)
  •  „Angeln am Jade-Bach“ (玉溪垂钓)
  •  „Frühjahrs-Feldarbeit im Ying-Wasser“ (颍水春耕)
  •  „ Früher Aufbruch im Huanyuan“ (轘辕早行) (Berg/Paß, 3 km nordwestlich des Shaolin-Tempels)
  •  „Gemeinsames Trinken am Shicongtou (石淙会饮) („Gurgelnde Steine“, nördlich von Luoyang, südöstlich von Yangcheng)“ 
  •  „Sommerfrische im Jiyin“ (箕阴避暑)
  •  „Wasserfall der Lu-Steilwand“ (卢崖飞瀑).
Diese Namen benennen nicht nur die jeweiligen Landschaft, sie geben zudem einen Hinweis auf die ihr innewohnende naturgegebene Besonderheit, eine sie umrankende Legende oder ein historisches Ereignis, dessen Schauplatz sie war. So wird z.B. in dem Gericht „Angeln am Jadebach“ die „Shiyangguanwai“-Landschaft (Steinziegenpaß) am Fuße des Songshan wiedergegeben: dort gibt es eine spezielle Angelstelle an einem klaren Fluss, und weil sich an diesem Ort der Berg im Wasser spiegelt, ist die Landschaft von besonderer Schönheit. Im übrigen ähnelt das Gericht in seinen Bestandteilen der heutigen „Lotusfrüchtesuppe mit Bergkräutern“. 
Die acht oben genannten Landschaften des Zhongyue zählen heute zum Songshan Geopark, dessen homepage leider bisher nur in chinesischer Sprache erscheint (trotzdem hier der link: Songshan Geopark - 8 Landschaften  ).



In Zhen Binghaos Buch heißt es - nach den vielen Erläuterungen der Mönche - zuletzt für den Autor selbst:  „Einmal sehen (und schmecken), ist besser als hundert Mal fragen(百闻不如一见 bǎi wén bùrú yī jiàn). Meister Suyun setzt ihn an einen mit bekannten Gerichten gedeckten Tisch, es gibt das „Große Jiangsu-Fleisch“ (大苏肉), „Rotes geschmortes Schweinefleisch“ (红 烧肉), „Geschnetzeltes“ (爆肉丝), „Gebratener Dickdarm“ (烧大肠) und „Schweinefleisch süß-sauer“ (糖醋里脊). Der Autor fängt an, sich zu fragen, ob die Mönche möglicherweise das Fleischverbot gebrochen haben. Seine Beschreibung dieser persönlichen „Konfrontation“ mit den Kochkünsten des Shaolin-Tempels soll hier die kleine kulinarische Reise in die Geschichte des Shaolin-Tempels beschließen:
Während meine Verwirrung noch andauerte, gab der Großmeister mir ein Paar Essstäbchen in die Hand, und der Mönch Suyun sagte bescheiden: "Ist nicht so gut geworden, aber bitte kosten Sie, kosten Sie!" Da saß ich nun, mit Zweifel im Herzen, und klemmte zuerst vorsichtig ein Stück  „Rotes geschmortes Schweinefleisch“ zwischen die Stäbchen.
Ich sah es feuerrot und zartweiß flackern. In der Mundhöhle empfand ich ein duftendes Aroma, eine außergewöhnliche Köstlichkeit. Von feinem Geschmack, war es tatsächlich aus in reinem Pflanzenöl frittiertem Gluten hergestellt. Es war zwar nicht Fleisch, doch es hatte einzigartige, wunderbare
Eigenschaften, die den Duft von Fleisch weit übertrafen. “ 

    „正在迷惑不解, 大师已把筷子递到手内,素云和尚谦逊地说:“做 得不好,请品尝品尝。”坐定之后,带着惑疑之心,提箸先夹起一块“红烧肉”来。
    只见它扑闪闪鲜红嫩白。放入口内顿觉浓香馥郁、鲜美异常。细细地品味,的确 是纯净的面筋用清油炸制而成。虽不是肉,却有胜过肉香的独到妙处。”(2)



Das Buch von Zhen Binghao (甄秉浩著 „少林寺内传“,  1986, © copyright 1999-2011 超星网 ) wurde als ebook im chinesischen Internet veröffentlicht:   ebook: 超星网 chaoxing wang;  Ihm entstammen die Zitate (1) und (2).


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„Fleisch, Wein und Kampfmönche“


Im Kontrast zu der von Zhen Binghao beschriebenen Essenstradition des Shaolin-Klosters,  steht ein Bild, das Meir Shahar in seinem Buch „The Shaolin Temple – History, Religion and the Chinese Martial Arts“, aufzeigt: das des Fleisch verzehrenden Shaolinmönchs. Professor Shahar untersucht in dem 2008 erschienenen Buch die Geschichte der Kampfkunst des Shaolin-Tempels, insbesondere in ihrer Beziehung zum Buddhismus und zur Politik. Das zweite Kapitel des Buches, „Serving the Emperor“ (= „Dem Kaiser zu Diensten“), beinhaltet zwei Passagen, in denen die Verbindung von Kampfkunst und dem Verzehr von Fleisch thematisiert wird: zum einen eine tangzeitliche Legende über den Mönch Sengchou (僧稠, 480–560), der nach dem Tod des Gründers Batuo zweiter Abt des Shaolin-Tempels wurde, zum anderen das  Unterkapitel „Meat, Wine and Fighting Monks“ („Fleisch,Wein und Kampfmönche“), in dem Meir Shahar versucht, stichhaltige Belege und Gründe für den Fleischkonsum der Kampfmönche im Allgemeinen und der Shaolin-Kampfmönche im Besonderen darzulegen.

 


Die Legende wurde erstmals von Zhang Zhuo (張鷟, ca.660 - ca.740), einem nicht-buddhistischen Literaten der Tang-Dynastie, niedergeschrieben und in sein vor 733 entstandenes Werk “Vollständige Aufzeichnungen vom kaiserlichen Hof und aus dem Land“ (朝野佥载 / 朝野僉載  cháoyě qiān zài) aufgenommen, einer Sammlung von Anekdoten, Hexengeschichten und lokalen Legenden. Sie ist ebenfalls in der 977/978 von Li Fang und anderen Mitgliedern der Kaiserlichen Akademie zusammengetragenen Anthologie „Umfangreiche Berichte aus der Taiping-Ära“ (太平广记 /  太平廣記tàipíng guǎng jì) erhalten geblieben. In ihrem Mittelpunkt steht körperlich schwächliche Novize Chou … :

„Chan-Meister Chou der Nördlichen Qi (1), stammte aus der Stadt Ye und ließ sich schon in jungen Jahren die Haare abrasieren, um Novize zu werden. Seine Altersgenossen waren sehr zahlreich. In den Ruhepausen  übten sie zum Spiel Ringkampf und sprangen herum. Da  er von schwächlicher Konstitution war, wurde er von ihnen schikaniert; einer nach dem anderen demütigte und schlug ihn. Chan-Meister Chou schämte sich sehr darüber. Er trat in die Tempelhalle, schloß die Tür, umfaßte die goldene Statue des Vajrapani und legte einen persönlichen Schwur ab,- er sprach: ‚Da ich schwach bin, werde ich von den Gleichrangigen geringgeschätzt und beleidigt. Es ist äußerst beschämend, besser ich sterbe. Du bist wegen deiner Kraft berühmt, so hilf mir. Ich bleibe hier zu deinen Füßen sieben Tage lang. Wenn du mir keine Kraft gibst, werde ich eher hier sterben, als meinen Eid zurückzunehmen …’
Vajrapani offenbarte sich ihm, in der Hand ein große Schüssel haltend, randvoll mit Muskelfleisch. Er sprach zu Chou: "Kleiner! Willst du Kraft bekommen?“ Chou: „Ich will!“. „Kannst du Muskelfleisch essen?“ (Chou) sagte: „Kann ich nicht“, … Da drohte ihm Vajrapani mit seinem Diamantzepter und Chou erfaßte die Panik, unverzüglich aß er das Fleisch.
Das Essen war beendet. Alle seine Gefährten waren wieder am spielen, da sagte der Chanmeister: `Ich habe Kraft, ich befürchte sie ist mit der euren nicht zu vergleichen´. Zur Probe spannte er vor seinen Gefährten den Arm an. Seine Knochen und Muskeln waren voller Stärke, geradezu unmenschlich. Alle staunten … Nun trat er in die Halle ein und lief  horizontal  an der Mauer entlang, von Westen nach Osten, zusammen mehrere hundert Schritte. Dann sprang er in die Höhe, mit dem Kopf bis an die Querbalken, vier Mal. Daraufhin zog er ein Gewicht von fünfzehntausend Kilo. Seine Faust war flink, mutig, kämpferisch und stark. Jene, die ihn erst gedemütigt hatten, warfen sich schwitzend vor ihm zu Boden und wagten nicht mehr aufzublicken.“
“北齐稠禅师,邺人也,幼落发为沙弥,时辈甚众。每休暇,常角力,腾越为戏,而禅师以弱见 凌,给侮殴者相继。稠禅师羞之,乃入殿中,闭户抱金干个人誓曰:‘我以赢弱为等类轻侮,为辱以甚,不如死也,汝以力闻,当佑我,我捧汝足七日,不与我力, 必死于此;无志还……。’金刚形见,手持大钵,满中盛筋,谓稠曰‘小次欲力乎?’,曰‘欲’,‘能食筋乎’?曰:‘不能’,……,乃怖以金刚杵,稠惧遂 食。食毕,诸同列又戏欧,禅师曰:‘吾有力,恐不堪于汝’,同列试引其臂,筋骨强劲,殆非人也,方惊异……。因入殿中,横塌壁行,自西至东,凡数百步,又 跃首至于梁数四,乃引重千钧。其拳捷骁武劲。先轻侮者,俯伏流汗,莫敢仰视。”
(„Taiping guangji“-Version, aus: Sengchou - Legende (Huishan si))


Zu dieser Legende ist zu bemerken, dass in der ersten Lebenshälfte Sengchous eine vegetarische Kost in den buddhistischen Klöstern Chinas noch nicht die Regel war (siehe: "Das Essen im Shaolin-Kloster (2)"). Von vielen Mönchen, auch solchen ohne Kampfkunst-Hintergrund, wurde Fleisch verzehrt, und selbst der Konsum von Wein war in den ersten Jahrhunderten des chinesischen Buddhismus in einigen Klöstern (z.B. in Dunhuang) gang und gäbe. Die Abstinenz von Fleisch und Wein wurde im han-chinesischen Buddhismus nicht ohne Druck von Seiten der Politik und der Laienschaft eingeführt. Zur Zeit der Aufzeichnung der Legende durch Zhang Zhuo hatte sie jedoch schon eine größere moralische Bedeutung als 200 Jahre zuvor, in der Novizenzeit Sengchous.

Der furchterregende Vajrapani (金刚神  jingang shen) ist ein kriegerischer Halbgott der hinduistischen und buddhistischen Mythologie. Der Beschützer des Buddhismus erfährt im Lauf der Geschichte des Shaolin-Klosters eine Umwandlung zum „König Kimnara“ bzw. Jinnaluowang (紧那罗王).  Jinnaluowang wird heute von den Shaolin-Mönchen als Schutzheiliger ihres Klosters und zudem – konträr zu der Rolle Vajrapanis in Zhang Zhuos Geschichte – als Überwacher der Einhaltung der vegetarischen Kost, resp. des Fastens, verehrt. Auch in den Haushalten der buddhistischen Laien Chinas wird ihm Verehrung zuteil: er gilt dort, vergleichbar mit dem daoistischen Küchengott, als Beschützer der Küche und in erweitertem Sinn des materiellen Wohlstands,- ein recht zeitgemäßer Schutzheiliger …

In der Legende wird der Verzehr von Fleisch als eine materielle Voraussetzung für den Erhalt resp. die Stärkung der Kampfkraft propagiert. Seine übernatürliche Kräfte und Fähigkeiten erlangt der Protagonist nicht durch tägliches, hartes Training zusammen mit dem erhöhten Konzentrationsvermögen und der „Einspitzigkeit des Geistes“ aus den buddhistischen Übungen, sondern durch die Einnahme des „Zaubermittels“ Fleisch. Bis heute ist die Ansicht weit verbreitet, man könne durch eine Ernährung, die viel Fleisch bzw. tierisches Eiweiß enthält,  ein außergewöhnlich hohes Maß an körperlicher Kraft entwickeln. Meir Shahar bezeichnet sie als einen Grund dafür, warum man sich chinesische Kampfmönche als Fleisch essend vorstellte.
Im Zuge seiner Suche nach weiteren Gründen für den Fleischverzehr der Kampfmönche hebt er hervor, dass jene, die schon ein monastisches Verbot (in diesem Fall das Verbot der Gewaltanwendung) gebrochen haben, eher bereit sind, auch weitere Verbote, wie die jene des Fleischverzehrs, des Genusses alkoholischer Getränke, der sexuellen Betätigung u.a., zu mißachten. In seiner Konsequenz würde dies  bedeuten, dass z.B auch jeder buddhistische Mönch, der Garten- oder Ackerbau betreibt, solch eine Tendenz zu weiteren Regelbrüchen aufweisen würde …



Fortsetzung folgt


Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich

1.1.2012 - Text und Übersetzung der Zitate © copyright: yss 
Letzte Änderung 7.02.2012
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