Hao Shizhai (郝释斋) 1930 - 2014
Nein, er ist keiner der Prominenten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, für die im Shaolin-Kloster der rote Teppich ausgelegt wird und bei deren Besuch der ganze Tempel in Aufruhr gerät. Nur ein Bauer und Landarzt. Und Kungfu-Meister von Shi Yongxin, dem heutigen Abt des Shaolin-Klosters.
Die besondere Verbindung Hao Shizhais zum Shaolin-Tempel und seine Bedeutung in der jüngeren Geschichte des Klosters lassen es wert sein, einen Blick auf sein Leben zu werfen. Man wird sehen, dass es darin noch mehr zu entdecken gibt.
Die besondere Verbindung Hao Shizhais zum Shaolin-Tempel und seine Bedeutung in der jüngeren Geschichte des Klosters lassen es wert sein, einen Blick auf sein Leben zu werfen. Man wird sehen, dass es darin noch mehr zu entdecken gibt.
Hao Shizhai stammt aus dem Weiler Shutanggou (书堂沟) in Dajindian (大金店), einer Landgemeinde im Kreis Dengfeng, die von der chinesischen Regierung (wie das nicht weit entfernte Chenjiagou) als „Dorf der Kampfkunst“ bezeichnet wurde, da nahezu jeder erwachsene männliche Bewohner Kampfkunst praktizierte. Die Hao-Familie verfügte über großen Landbesitz und zählte zu den wohlhabendsten Familien in Dajindian. Seit Generationen pflegte man die Kampfkunst, um Haus und Hof gegen Räuber und andere unerwünschte Eindringlinge zu verteidigen.
Im Alter von sechs Jahren begann Hao Shizhai von seinem Vater Hao Deli (郝德立), Kungfu zu lernen, dann wurde er Schüler von Shi Yandong (释延东), dem Abt des Songshan-Qingliang-Tempels, und von dem bekannten „Volks-Kampfkunstmeister“ (民间武师) Li Gen-Sheng (李根生). Zusammen mit Chen Tianbao (陈天宝) soll er zudem bei Mei Jinxuan (梅金选), einem weiteren großen Kampfkunstmeister des Volkes gelernt haben, und es heißt, beide Meisterbrüder hätten zum Schutz von Dajindian eine „Privatmiliz“ gegründet.
Schon der Urgroßvater und der Großvater von Hao Shizhai hatten eine enge Verbindung zum Shaolin-Kloster, die mit dem jungen Shizhai natürlich fortgesetzt wurde: er lernte das Kungfu des Shaolin-Klosters von Shi Suxi (释素喜), Shi Xingzhang (释行章) und Shi Yongxiang (释 永祥).
Im Alter von 19 Jahren heiratete Hao Shizhai die zwei Jahre jüngere Shi Yongfeng (释永凤). Nach dem Abschluß der Oberschule begann er als 22-Jähriger, sich zunehmend mit der Traditionellen Chinesischen Medizin zu beschäftigen. Er lernte zuerst nur im Selbststudium aus Büchern, bald wurden jedoch Li Baoshan (李保山) aus Yuxi und Bi Zizhen (毕子珍) aus Dengfeng seine Lehrer für Traditionelle Chinesische Medizin. Bi Zizhen, ein bekannter Arzt für Traditionelle Chinesische Medizin und von Kindheit an Laienbuddhist, stellte ihn seinem Meisterbruder, dem Shaolin-Mönch Shi Dechan (释德禅), vor. Bei diesem für seine Heilkunde weithin bekannten Möncharzt wie auch bei Shi Xingzhang (释行章), den er schon als Kungfu-Lehrer kannte, studierte Hao insbesondere die Medizin des Shaolin-Klosters.
In den 1960er Jahren nahm er im Shaolin-Tempel unter Shi Xingzheng (释行正) Zuflucht zu den „Drei Schätzen des Buddhismus“ und erhielt den Dharma-Namen Shi Yongzhai (释永斋).
Die Verbindung zwischen Hao Shizhai und den Shaolin-Mönchen war insbesondere in der Zeit der Kulturrevolution und dem sich ihr anschließenden Jahrzehnt für den Shaolin-Tempel von großem Nutzen. Schon nach der Landreform in China am Anfang der 1950er Jahre gab es nur noch wenig Unterstützung des Shaolin-Tempels seitens der Laienschaft, am wenigsten jedoch während der Kulturrevolution (1966 - 1976). Viele Klöster und religiöse Kulturgüter wurden zerstört, religiöse Aktivitäten waren lebensgefährlich, schnell war man als Anhänger der „Vier Alten“ (四旧 – alte Kulturen, Denkweisen, Sitten und Gewohnheiten) angeklagt und gleichzeitig verurteilt. Zu dieser Zeit kam die Hauptunterstützung des Shaolin-Klosters von Hao Shizhai und seiner Familie. Trotz starker Einschränkung der eigenen materiellen Ressourcen versorgte die Hao-Familie die alten Mönche des Tempels und förderte zur Sicherung des Fortbestands der traditionellen Shaolin-Kultur auch aktiv deren Nachfolger. Shi Dechan fand
in diesen Jahren mehrmals bei den Haos Zuflucht, und Shi Suxi soll sogar
mehrere Jahre bei ihnen gewohnt haben. Es war wohl Familientradition, den Shaolin-Mönchen in schweren Zeiten Unterkunft zu gewähren: schon als 1945 die japanischen Invasoren den Shaolin-Tempel besetzten, fanden 25 Shaolin-Mönche auf dem Bauernhof von Hao Deli vorübergehend eine Bleibe.
(2) Hao Shizhai 1976 |
Um in der Zeit der Kulturrevolution nicht alles im Tempel der Zerstörung und dem Verfall preiszugeben, bat Shi Xingzeng die Familie Hao, zahlreiche Schätze des Shaolin Tempels aufzubewahren und zu schützen: wertvolle Bücher über Kampfkunst, medizinische Abhandlungen, Statuen von Bodhidharma und Jinnaluo, religiöse Gebrauchsgegenstände, offizielle Siegel u.a.. Trotz des damit verbundenen Risikos wurden sie von der Familie auf ihrem Grundstück versteckt und dadurch vor der Zerstörung gerettet. Hao Shizhai nutzte die Gelegenheit, vertiefte sich in die Schriften über Kampfkunst und speicherte ihre wertvollen Lehren in seinem Gedächtnis. Während er tagsüber als traditioneller Arzt arbeitete, studierte er nachts in einem fensterlosen Raum bei Kerzenlicht die alten Bücher des Shaolin-Tempels. In der Folge wurde er weithin bekannt für sein ausgezeichnetes Gedächtnis in Bezug auf die Shaolin-Kampfkunst, und erhielt den Beinamen „Lebendes Shaolin Faustkampfbuch“ (活少林拳谱).
Nach dem Ende der Kulturrevolution wurde der Shaolin-Tempel der Gerichtsbarkeit einer kleinen Abteilung der Kulturbehörde von Dengfeng unterstellt, religiöse Aktivitäten waren untersagt und die Mönche hatten nicht genug Mittel für ihren Lebensunterhalt. Hao Shizhai kam mehrfach mit seiner Familie und landwirtschaftlichem Gerät zum Shaolin-Kloster und half den Mönchen bei der Kultivierung des wenigen dem Tempel verbliebenen Landes, damit sie sich von dessen Erzeugnissen ernähren konnten.
In jener Zeit begann Shi Xingzheng seinen langen Kampf um die Wiedererlangung der Rechte des Shaolin Tempels. Dazu reiste er manchmal einmal, manchmal mehrmals im Jahr nach Beijing, um bei den zuständigen Behörden seine Petitionen einzureichen, mit Verantwortlichen zu verhandeln, Unterstützer zu treffen etc. Auch hierbei half ihm Hao Shizhai, sei es durch Übernahme der Reisekosten, sei es als Begleiter oder auch nur durch moralische Unterstützung. Diese Hilfe war angesichts der Drohungen, Erniedrigungen und Frustrationen, die Shi Xingzheng im Verlauf seiner mehr als 10 Jahre andauernden Bemühungen um die Selbstbestimmung des Shaolin-Tempels geduldig ertrug, von nicht zu unterschätzendem Wert.
(3) Hao Shizhai, Shi Xingzheng, Shi Yongxin |
Zur Bewahrung und Weitergabe der traditionellen Kampfkunst des Shaolin-Tempels gab es einen intensiven „personellen“ Austausch: zum einen schickte Hao Shizhai seine besten Schüler zum Erlernen des Shaolin-Kungfu zu den Shaolin-Mönchen, zum anderen ließ Xingzheng viele der neu in das Shaolin-Kloster eingetretenen Novizen eine Zeit lang von Hao Shizhai in der Kampfkunst unterrichten. Hierzu gehörte auch Shi Yongxin (释永信), der 1981 zum Shaolin-Kloster kam, von Shi Xingzheng als Novize angenommen und 1999 als Nachfolger Xingzhengs zum Abt geweiht wurde. Als später in der chinesischen Öffentlichkeit vermehrt Zweifel daran geäußert wurden, dass Shi Yongxin jemals selbst Kungfu erlernt hätte, verteidigte Hao Shizhai mit Vehemenz seinen wohl prominentesten Schüler.
Weitaus weniger bekannt, jedoch nicht minder bemerkenswert sind zwei weitere Schüler Hao Shizhais: Shi Yongmei (释永梅) und Shi Yongzhi (释永贞), die schon in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zum Shaolin-Tempel kamen, um dort Nonnen zu werden. Hao Shizhai traf sie vor dem Tor des Tempels und brachte sie zu Shi Xingzheng, der sie als Schülerinnen annahm. Als Frauen durften sie jedoch nicht mit den Mönchen zusammen leben, zudem waren die Lebensbedingungen im Tempel sehr schlecht. Da sie im Shaolin-Tempel nicht auf Dauer bleiben konnten, wurden sie von Hao Shizhai in seine Familie aufgenommen. Nachdem sie von ihm ausreichend Kungfu gelernt hatten, um sich notfalls selbst verteidigen zu können, zogen sie in den Chuzu-Tempel („Tempel des Ersten Patriarchen“), der oberhalb des Shaolin-Klosters auf halbem Weg zur Damo-Höhle liegt. Shi Yongmei lebt bis heute in diesem als Weltkulturerbe geschützten Tempel und ist nun dessen Äbtissin. Ihre Verbindung zur Hao-Familie blieb über die Jahrzehnte hinweg weiterhin bestehen.
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Auch das Schicksal von Shi Yanfo (释延佛), eines anderen bekannten Abtes der Region, ist eng mit Hao Shizhai verknüpft,- und mit einem seiner Brüder. Der dritte ältere Bruder Hao Shizhais trat in den 50er Jahren in den Shaolin-Tempel ein, als Mönch trug er den Namen Shi Yongshan (释永山). Er lebte überwiegend im Chuzu-Tempel und verstarb 1980. An seinem Grab ließ Hao Shizhai 1984 den an einer körperlichen Behinderung leidenden Shang Lianfu den Verstorbenen bitten, ihn als Schüler anzunehmen (vermutlich mit der Zustimmung des Mönchs Shi Xingzheng). So erhielt dieser auf Umwegen die Novizenweihe und den Namen "Shi Yanfo". Mit der Unterstützung Hao Shizhais wurde Shi Yanfo in den Shaolin-Tempel aufgenommen, wo er Buddhismus und Meditation lernte, 1989 erhielt er die volle Mönchsweihe im berühmten Baima-Kloster von Luoyang. Heute ist Shi Yanfo Abt des wenige Kilometer vom Shaolin-Kloster entfernten, in malerischer Landschaft gelegenen Fawang-Tempels (法王寺) sowie fünf weiterer kleinerer Tempel.
Als im Shaolin-Kloster Shi Xingzheng erkrankte und es ihm zunehmend schwerer fiel, die zahlreichen Aufgaben zur Verwaltung und Finanzierung des Klosters zu erledigen, half Hao Shizhai seinem Meister auch hierbei. Xingzheng hingegen war in seinen letzten Jahren aufgrund der zunehmenden Einnahmen des Shaolin-Tempels in der Lage, seinem Laienschüler eine finanzielle Unterstützung zu senden. Nach Xingzhengs Tod im August 1987 und der Übernahme der Tempelleitung durch Shi Yongxin zog Hao Shizhai sich aus dem Tempel zurück. Er blieb dem Shaolin-Tempel weiterhin freundschaftlich verbunden, widmete sich jedoch mehr seinem Hof, seiner Familie, seiner Arbeit als Arzt der Traditionellen Chinesischen Medizin und in den letzten Jahren auch der Herstellung von Kräutermedizin. Zu Hao Shizhais erfolgreichsten Schülern der Traditionellen Chinesischen Medizin zählen Chai Rentao (柴仁涛), der Leiter des im Stadtkreis von Luoyang gelegenen Volkskrankenhauses von Yichuan, und Guo Guangjun (郭光俊), der als herausragender Vertreter der Landärzte Chinas vom Ministerium für Gesundheit die Auszeichnung „Beispielhafter Landarzt der Nation“ erhielt. Unter den vielen lokalen Kungfu-Meistern, die von Hao Shizhai unterrichtet wurden, befindet sich auch Chen Tongshan (陈同山), Vater des in ganz China berühmten Martial-Arts-Filmstars Shi Xiaolong (释小龙) .
Im Alter von 84 Jahren war Hao Shizhai, dessen Name in den Ausweisdokumenten eigentlich Hao Changlu (郝长路) lautet, noch bei guter Gesundheit, stieg „leicht wie der Wind“ den Berg hoch, behandelte täglich seine Patienten mit Akupunktur und kümmerte sich mitunter auch um Belange des Shaolin-Tempels. Am 13. März 2014 um 14:13 Uhr fand sein Leben jedoch ein überraschendes, tragisches Ende. Er wurde auf dem Weg nach Dengfeng bei einem Autounfall auf der Zhengshaoluo-Autobahn schwer verletzt und auf die Intensivstation des Volkskrankenhauses von Dengfeng gebracht; wenig später musste sein zweiter Sohn, Hao Jiantong (郝建通), seinen Tod bekannt geben.
Mit Hao Shizhai verschwand ein weiteres für die heutige Generation wichtiges Verbindungsglied zu der Zeit vor dem von Shi Yongxin geprägten modernen, reichen Shaolin-Tempel,- zu einer Zeit in der wenige Menschen um das Überleben des Shaolin-Tempels kämpften. Er gehörte zu diesen Wenigen, trug einen nicht unerheblichen Anteil am Erhalt des Shaolin-Tempels und seiner einmaligen Kultur bei. Selbst Shi Yongxin bemerkte noch zu Haos Lebzeiten: „Wenn Hao Shizhai nicht gewesen wäre, gäbe es keinen Shaolin-Tempel im modernen Sinn." (“如果没有郝释斋,就没有现代意义上的少林寺”). Shi Yanfo, der Abt des Fawang-Klosters im Songshan, nannte Hao Shizhai in seiner Trauerrede einen „leisen und unermüdlichen alten Bodhisattva“, und Shi Yongmei, die Äbtissin des Chuzu-Tempels, war, als ich sie einen Monat nach dem Tod Hao Shizhais traf, noch in tiefer Trauer um ihren verstorbenen Meister - für sie war er wie ein Vater gewesen. Yue Xiaofeng (岳晓锋), ein weiterer bekannter Schüler Hao Shizhais, betonte, dass Hao mit seinem edlen Charakter und seiner steten Einhaltung der Regeln (eines buddhistischen Laien) ein Vorbild für viele Menschen und viele Mönche gewesen sei. Traurig schreibt er: „Ich dachte stets, dass guten Menschen eine gute Vergeltung zuteil wird und dass deshalb der alte Mann 108 Jahre leben wird.“
Sicherlich erhält er die gute Vergeltung in anderer Form …
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Fotos:
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* Namenszuordnung mit Hilfe von Shi Yankai
* Namenszuordnung mit Hilfe von Shi Yankai
2 und 3 - © copyright by Yue Xiaofeng (岳晓锋); download von http://blog.sina.com.cn/s/blog_4919419a0100973a.html. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Yue Xiaofeng
4 - © copyright by www.gdwh.com
Die
Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen
auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben
sie meine Reflektion der Dinge wieder.
Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.22.09.2014 - © copyright by yss
Letzte Änderung: 18.10.2014
Urheberrechtlich geschützt
P.S.: Wer hätte es vermutet? Zu dem 1982 in Dengfeng gedrehten Film „The Shaolin Tempel“, der weltweite Berühmtheit erlangte und dem Shaolin-Kloster einen enormen Zuwachs an Beachtung und Aufnahmegesuchen brachte, lieferte Hao Shizhai ebenfalls einen – wenn auch kleinen – Beitrag: ein Teil der alten Waffen, die in dem Film verwendet wurden, kamen aus seinem Haus.