Shaolin-Apotheke -
Der Mönch des „Kleinen Himmelskreislaufs“



 Im Hof der Apotheke des Shaolin-Klosters steht eine kleine bronzene Statue, die stets das Interesse und die Zuneigung der Besucher weckt. Sie zeigt einen Mönch im Meditationssitz, in dessen Kopf und Rumpf chinesische Schriftzeichen eingraviert sind. Die meisten der ausländischen Besucher, die diese hübsche Statue sehen, fragen sich nach der Bedeutung dieser Zeichen, und selbst den Einheimischen ist sie nicht immer geläufig. 

Die Schriftzeichen beziehen sich auf eine Übung der daoistischen Alchemie, deren Ziel es ist, im Körper einen Energiekreislauf in Gang zu setzen, der als der „Kleine Himmelskreislauf“ (小周天 xiǎo zhōu tiān) bezeichnet wird. Im Verlauf dieser Übung passiert die „Qi“ (气) genannte Energie   bestimmte „Stationen“, die auf oder in unmittelbarer Nähe von zwei Leitbahnen in der vertikalen Mittelachse des Körpers liegen: die „Lenkergefäß“ (督脉 dūmài ) genannte Leitbahn steigt an der Rückseite des Körpers entlang der Wirbelsäule auf und führt über den oberen Kopf zum Gaumen. Ihr Gegenpart,  das „Konzeptionsgefäß“ (仁脉 rénmài), führt vom Zungenuntergrund aus über die Vorderseite des Körpers nach unten bis zum Damm. Durchläuft das Qi ungehindert die Stationen bildet sich der „Kleine Himmelskreislauf“, der unter anderem eine Harmonisierung der Yin- und Yang-Energien des Körpers zur Folge hat.
Einige wesentliche Stationen des Kreislaufs sind in die kleine Statue eingraviert, wobei die Schriftzeichen jeweils von rechts nach links zu lesen sind.  Ihre Namen lauten (von oben nach unten):


 






Soweit diese Namen in der chinesischen Medizin als Akupunkturpunkte bekannt sind, sind sie hier mit der numerischen Bezeichnung von C.H. Hempens „DTV-Atlas der Akupunktur“ gekennzeichnet, jedoch zählen sie dort sie nicht immer zu einer der beiden obengenannten Leitbahnen. Inwieweit sie als identisch mit diesen Akupunkturpunkten angesehen werden, unterliegt der jeweiligen Interpretation (s.u.).  Die Namen der übrigen Stationen sind speziell in der daoistischen Kultivierung von Bedeutung, in der chinesischen medizinischen Literatur zur Akupunktur sind sie nicht verbreitet. Hier ein paar Notizen zu ihnen:


  • Die Elsternbücke (鹊桥) bezeichnet die Verbindung zwischen Lenkergefäß/Dumai und Konzeptionsgefäß/Renmai, die unwillkürlich durch die Zunge geschaffen wird, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind,- dies heißt auch „Die im Flug konstituierte Elsternbrücke“ (鹊桥飞架).
  •   „Stockwerke“ (重楼) steht für die „12 Stockwerke“ (十二重楼), eine daoistische Bezeichnung der Luftröhre (Trachea).
  •  Der „Gelbe Hof“ (黄庭) befindet sich zwischen dem unteren Ende des Brustbeins und dem Bauchnabel. Er ist der Ort der Vereinigung von Feuer-Qi (火气 ) und „Wasser-Qi“ (水气), aus der der „Spirituelle Embryo“ bzw. das „Goldene Elixier“ entsteht.
  • Das „Untere Dantian“ wird auch in wörtlicher Übersetzung „Unteres Zinnoberfeld" genannt und liegt unterhalb des Bauchnabels (über die genauere Lokalisation gibt es divergierende Angaben). Es ist eins von den drei Qi-Zentren des Körpers und Sitz des „Wahren Qi“ (真气 zhēn qì). Sowohl in der daoistischen Kultivierung wie auch in vielen chinesischen Kampfkünsten ist es von herausragender Bedeutung. Von den Daoisten wird es jedoch als „Falsches Unteres Dantian“ bezeichnet, da es das Qi nur in begrenzter Menge speichern kann.
  • Der Ort, an dem der Mensch das von den Eltern erhaltenen „Ursprüngliche Qi“ (元气) speichert, sind die beiden Nieren; sie gelten daher als die „Wurzeln des Lebens“. Die linke Niere wird in der daoistischen Alchemie als „Wasserteich“ (水池) bezeichnet, die rechte als „Feuerteich“ (火沼). Der Bezeichnung „zwei Nieren“ bezieht sich wahrscheinlich auf den Punkt „Nieren-Passtor“ (肾关 shèn guān).

Der Kreislauf beginnnt damit, dass das Qi erst zum „Steißbein-Passtor“ (尾閭关 wěi lǘ guān) geleitet wird. Von dort läßt man es über das „Nieren-Passtor“, „Jiaji“ und das „Doppelte Passtor“ aufsteigen. Dann führt man es weiter über die „Himmelssäulen“ und „Jadekissen“ zum Zentrum des Kopfes, dem Punkt „Palast des Schlammkügelchens“ (泥丸宮 ní wán gōng). Von dort erreicht es über den „Hof des Geistes“ die „Elsternbrücke“, wo bei ausreichendem Vorhandensein von Qi der Übergang auf die Renmai-Leitbahn gelingt. Über die „Stockwerke“ der Luftröhre sinkt es herab zum „Gelben Hof“ und gelangt weiter über den „Qi-Punkt“ zum „Unteren Zinnoberfeld“.  Wenn eine große Menge an Qi frei und ungehemmt in diesem Kreislauf zirkuliert, so sagt man: „Das Qi durchläuft den kleinen Himmelskreis“ (气通小周天 qì tōng xiǎo zhōu tiān). Das hier aufgezeigte Schema des „Kleinen Himmelskreislaufs“ ist jedoch stark vereinfacht und soll nur einer rudimentären Beschreibung dienen.


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 Der „Kleine Himmelskreislauf“ ist eine grundlegende Übung in vielen daoistischen Schulen, insbesondere in der Drachentor-Schule (龙门派) des Quanzhen-Daoismus (全真道). Er zählt zu einem System von Kultivierungsmethoden, das durch seine außergewöhnliche Komplexität und philosophische Tiefe beeindruckt. Er ist gleichermaßen eine körperliche und spirituelle Übung und erfordert oft ein jahrelanges „Training“. Als Teil der daoistischen "Inneren Alchemie" (内丹 nèi dān) ist er ausführlich in deren Literatur beschrieben und in bildlichen Darstellungen skizziert, so z.B. in den "Neijing Tu" (内经图) anhand einer den menschlichen Körper repräsentierenden Landschaft.  Der genaue Inhalt der Übung wird jedoch im allgemeinen nur vom Meister auf den Schüler, angepasst an die Befähigung des Schülers weitergegeben. Daneben werden einfache Varianten des „Kleinen Himmelskreislaufs“ in der Traditionellen Chinesischen Medizin als Übung der Gesundheitspflege praktiziert, mit steigender Beliebtheit auch außerhalb des chinesischen Kulturkreises. 

Schon früh wurden wirkungsvolle Elemente des Daoismus vom Shaolin-Kloster angenommen,  insbesondere in den Bereichen der Kampfkunst und der Gesundheitspflege. So wird dort seit langem der  „Himmelskreislauf“ gelehrt,- sowohl der „kleine“ wie auch der „große“-, beide Kultivierungsübungen sind schon in einigen der jahrhundertealten Schriften über Kampfkunst und Qigong beschrieben, die in der Sutraspeicher-Halle des Tempels aufbewahrt werden.

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Die Inhalte dieses Artikels wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft und erstellt. Letztendlich geben sie meine Reflektion der Dinge wieder. Quellenangaben sind auf Anfrage hin erhältlich.

* "Nei Jing Tu" in 2 unterschiedlichen Versionen: ein Copyright ist mir nicht bekannt. In Bezug auf die Herkunft der zweiten Darstellung des "Nei Jing Tu" ist folgender Link interessant: "The Original Stele of Neijing Tu"


16.10. 2013 - Text und Fotografien © copyright by yss
Letzte Änderung: 21.10.2013
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